Im Norden waren die Tiere so gut wie ausgestorben. Jetzt besiedeln sie den Flusslauf der Alster in Richtung der Hamburger Innenstadt.

Hamburg. Er kommt auf leisen Sohlen oder lautlos durch das Wasser paddelnd: Weitgehend unbemerkt von den Hamburgern besiedeln Fischotter allmählich den Alsterlauf Richtung Innenstadt. 2004 fanden Biologen die ersten Spuren am Oberlauf des Flusses. Inzwischen ist der scheue Fischräuber bereits in Wellingsbüttel angekommen, meldet die Aktion Fischotterschutz vom Otter-Zentrum Hankensbüttel. Projektkoordinator Karsten Borggräfe ist zuversichtlich, dass die putzigen Tiere dort weiteres Terrain erobern werden, wo Gewässer naturnah sind.

Während Hundekot in der Stadt ein Ärgernis ist, versetzt die unverwechselbare Hinterlassenschaft eines Fischotters Biologen in Freude. Kotreste sind der sicherste Nachweis für die Tierart, die in der Metropolregion Hamburg und in vielen anderen Teilen Deutschlands fast ausgestorben war. "Wir haben damit das Indiz, dass sich der Fischotter an der Alster weiter ausbreitet", sagt Karsten Borggräfe. Das nächste größere Hindernis sei nun die Fuhlsbütteler Schleuse, "aber irgendwann könnte er es nehmen".

+++ Fast gleich groß, aber kaum halb so schwer wie Biber +++

Ähnlich wie der gleichgroße, aber viel massigere Biber war auch der Fischotter im 20. Jahrhundert extrem selten geworden. Der flinke, meist als Einzelgänger lebende Marder wurde als Fischräuber und wegen seines wertvollen Fells intensiv bejagt. Mitte des Jahrhunderts, als die Otter bereits vielerorts verschwunden waren, trugen Pestizidrückstände und andere Schadstoffe dazu bei, dass das Leben in deutschen Gewässern verarmte: Die Zahl der Kleinstlebewesen sank drastisch und mit ihr die der Fische, die sich von ihnen ernährten. Sie dienten ihrerseits als Futter des Fischotters. Neben der Nahrungsgrundlage schwand der Lebensraum. Flüsse und Bäche wurden ausgebaut, ihre Ufer befestigt. Folge: Die scheuen Marder fanden weder ausreichend Futter noch Unterschlupf.

Aus Hamburg war die Art verschwunden, in Schleswig-Holstein bis auf wenige Restvorkommen am Schaalsee ebenfalls fast ausgestorben. In den 1990er-Jahren begann deutschlandweit das Comeback der Fischotter, auch in Schleswig-Holstein. Sie dürfen längst nicht mehr bejagt werden, und die Gewässer sind sauberer geworden. Borggräfe: "Die meisten Bäche, Teiche, Seen und Flüsse haben jetzt Badewasserqualität. Dadurch können sich Fische und Kleinstlebewesen relativ gut entwickeln, sodass die Nahrungsgrundlage nun wieder stimmt." Ob die Alster-Marder Nachfahren der überlebenden Schaalsee-Bewohner sind, kann Borggräfe nicht sagen. "Es breiten sich auch Tiere aus Dänemark südwärts aus."

Die größten Probleme seien heute die befestigten, gleichförmigen Gewässerufer und der Straßenverkehr, sagt Borggräfe. Die (mit Schwanz) gut einen Meter langen Tiere legen nachts auf ihren Beutezügen kilometerlange Wege zurück, in dem sie im ufernahen Bereich schwimmen oder laufen. Vor allem sei es wichtig, unterhalb von Brücken an den Pfeilern Laufwege zu haben. Sonst weichen die Wassermarder aus und versuchen, die Straße zu überqueren - nicht selten mit tödlichen Folgen. Bundesweit fallen jährlich um die 200 Tiere dem Verkehr zum Opfer.

Auch in Hamburg müssten noch "Querungssituationen entschärft werden", wie Borggräfe es nennt. Noch wichtiger als die Unfallvermeidung aber sind naturnahe, strukturreiche Gewässer, die den scheuen Fischerottern reichlich Verstecke bieten, in denen sie tagsüber ungestört ruhen können. Sind solche Rückzugsräume vorhanden, fallen Störungen durch Menschen (und deren Vierbeiner), die tagsüber an der Alster spazieren gehen oder joggen, weniger ins Gewicht.

+++ Projekt Lebendige Alster: Kies schippen für Otter und Forelle +++

Seit Jahren bemühen sich Naturschützer um lebendigere Flüsse und Bäche im Stadtgebiet, legen Flachwasserzonen in Ufernähe an, schütten Kies in die Gewässer, schleppen Totholz heran, das Insekten und andere Kleinlebewesen anzieht. So organisiert zum Beispiel der Naturschutzbund jährlich um die 15 Gewässernachbarschaftstage, bei denen (Hobby-)Biologen und Anwohner einen Bach renaturieren. Zur Seebek, die über die Osterbek in die Alster fließt, hatte der Nabu 2011 Bilanz gezogen: "Innerhalb von fünf Jahren haben wir dort an 1000 Meter Bachstrecke 200 Tonnen Beton entfernt und 550 Tonnen Steine, Geröll und Kies eingebracht." Im Projekt Lebendige Alster wollen der Nabu, Aktion Fischotterschutz und der BUND ihre Anstrengungen bündeln, um Fischotter, Eisvogel und andere Vorzeigearten entlang der Alster wieder anzusiedeln.

Wieweit der Fischotter die Einladung der Naturschützer annimmt, wird die Zukunft zeigen. Borggräfe ist optimistisch, dass die Tierart sich auch unterhalb der Fuhlsbütteler Schleuse irgendwann sehen lässt - "in England besiedeln Fischotter auch städtisches Gebiet". Selbst an der Außenalster gebe es ruhige Bereiche, sagt der Otterfachmann, allerdings eigneten sie sich nicht für Daueraufenthalte. Abenteuerlustige Durchwanderer könnten es sogar bis zum Rathaus schaffen, schließlich legen die Wassermarder in einer Nacht bis zu 20 Kilometer zurück. Doch wo sollten sie in der dicht bebauten Innenstadt bleiben?

Das Fernziel lautet, die Elbe für die Tierwelt wieder mit dem Oberlauf der Alster zu verbinden. Der Umweltbehörde liegen bereits Vorschläge vor, die Schaartorschleuse per Umleitung und die Rathausschleuse mithilfe einer Fischtreppe für Fische passierbar zu machen, damit diese zum Laichen bis in die Oberalster schwimmen können. Dann hätten die einwandernden Fischotter zusätzliches Futter.

Wer Fischotter beobachten möchte, kann dies am besten in Freigehegen tun: im Otter-Zentrum Hankensbüttel (bei Celle) oder im Wildpark Eekholt (bei Hartenholm). Im Wildpark Schwarze Berge (Rosengarten/Harburg) leben Zwergotter.