Teil 12 der großen Serie: Unfälle Frakturen können von allein zusammenwachsen und sogar Fehlstellungen korrigieren sich dabei wieder.

Weißt du, was wir heute wieder mal machen müssen?", fragt Dr. Dirk Sommerfeldt den vier Jahre alten Dalai freundlich. Vor einigen Wochen ist der Junge am rechten Ellenbogen operiert worden. "Wir müssen deinen Arm neu verbinden und den Gips ein bisschen schöner machen. Du weißt doch, wie das geht, gib mir mal deinen rechten Arm." Ein bisschen schüchtern legt Dalai seinen Arm auf die Liege, und der Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendtraumatologie am Altonaer Kinderkrankenhaus wickelt den Verband ab. Dieser fixiert eine halb offene Gipsschale um Handgelenk und Ellenbogen. "Kannst du den Arm bewegen? Tut gar nicht weh? Super, der ist ja richtig gerade geworden!", sagt der Mediziner und nach einem Blick auf das aktuelle Röntgenbild: "Ja, das sieht wirklich gut aus." Zwei Metalldrähte, die an Nägel erinnern, sind auf dem Bild zu sehen.

Der Grund für die Operation liegt bereits zweieinhalb Jahre zurück. "Im Kindergarten ist er von der Rutsche gefallen", sagt Dalais Vater Laptun Lama. Dabei hatte der Junge sich den Oberarmknochen gebrochen, direkt über dem Ellenbogengelenk. Im AKK sind Ellenbogenbrüche nach Frakturen der Unterarme sowie Hand- und Fingerverletzungen die dritthäufigste Ursache für eine unfallchirurgische Operation.

"Als Dalai sich im März 2009 verletzt hat, haben wir zunächst einmal nicht operiert", sagt der Unfallchirurg. Auf dem Röntgenbild sah es so aus, als seien die Knochenteile durch den Bruch fast nicht verschoben, und die Ärzte hofften darauf, dass der Oberarmknochen von selbst wie zuvor zusammenwächst. "Der Bruch ist gut und schnell geheilt", sagt der Privatdozent. "Aber leider nicht in der richtigen Achse. Wie andere Kinder O-Beine haben, so hatte Dalai nun einen O-Arm."

Die große Abendblatt-Gesundheits-Serie

Wäre einem Erwachsenen eine solche Fraktur zugestoßen, so hätten die Chirurgen eher zum Skalpell gegriffen. "Kinderknochen verhalten sich anders als die von Erwachsenen: Sie verheilen schneller, auch Fehlstellungen können sich wieder auswachsen", sagt Sommerfeldt. Kinder werden häufiger konservativ behandelt, erhalten also einen Gips oder Verband. Ein chirurgischer Eingriff sei nötig, wenn der Knochen extrem verschoben und nicht stabil sei, Knochensplitter das Gewebe verletzen könnten und die Wachstumsfuge betroffen sei.

Vergangenes Jahr entschlossen sich Dalais Eltern, ihren Sohn operieren zu lassen. Denn es gab keine Aussicht, dass sich der O-Arm von selbst bessern würde. "Dalai hatte keine Schmerzen, und konnte eigentlich alles mit dem Arm machen. Die Herausforderung war, den Arm in die richtige Stellung zu bringen und seine Funktion nicht schlechter zu machen", sagt der Arzt. Vier Tage blieb der Junge in der Klinik und überstand die Operation Ende November gut.

Für den Verbandswechsel müssen Dalai und seine Eltern jedoch nicht immer in die Klinik, dies können auch niedergelassene Ärzte leisten. Der Kinderorthopäde Dr. Ulrich Korn behandelt Kinder mit Frakturen, wenn sie operiert worden sind. Es kommen aber auch Kinder mit frischen Verletzungen zu ihm. "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen - dieser Satz trifft bei der Behandlung nach Unfällen noch viel mehr zu als bei der Therapie von anderen Krankheiten", sagt der Unfallchirurg. "Und jedes Alter ist anders - bei einem sechs Jahre alten Kind kann man beim Richten eines Bruches viel mehr Fehlstellung tolerieren als bei einem elf Jahre alten Kind."

Für die Zeit nach den Hamburger Skiferien stellt Korn sich auf mehr Patienten mit Beinbrüchen oder Bänderrissen ein. Bei Kindern sind die Bänder im Vergleich zum Knochen noch vergleichsweise stabiler, sie sind auch flexibler als bei Erwachsenen. Daher reiße bei den Kindern bei einer Knöchelverletzung eher mal ein Stück Knochen mit heraus ("knöcherner Bandausriss"). "Das hört sich dramatisch an, aber die Kinder haben eine bessere Prognose, als wenn nur das Band kaputt wäre", sagt Korn.

Laut Sommerfeldt steigt die Zahl der Patienten im Frühling an, wenn die Kinder durch den Winter nicht mehr so trainiert sind, und wieder mehr draußen toben und Rad fahren oder anderen Sport machen. "Wir können immer nur betonen, dass die Kinder auf dem Rad einen Helm tragen und beim Rollerbladen auch die Gelenke schützen sollen. Außerdem: Vorsicht bei den großen Außentrampolinen - auch da verletzen sich Kinder vergleichsweise häufig."

Doch wie können Eltern erkennen, ob ein Knochen gebrochen sein könnte? "Die Kinder haben ziemliche Schmerzen an der Stelle über dem Bruch, oft auch am ganzen Arm oder Bein, die Stelle kann angeschwollen sein, oder die Eltern können sehen, dass eine Fehlstellung vorliegt", sagt Korn. "Kinder nehmen konsequent eine Schonhaltung ein. Bei Kleinkindern ist die Beobachtung, wie sie sich bewegen, wichtiger als das, was sie sagen." Gehe es dem Kind sehr schlecht und die Eltern hätten Bedenken, das Kind selbst zum Arzt oder in die Klinik zu bringen, dann sollten sie einen Krankenwagen rufen.

Besonders gefürchtet sind Stürze auf den Kopf, nicht nur weil der Schädelknochen verletzt werden kann. "Liegt eine Schädelfraktur vor, so ist das ein Hinweis auf eine schwere Verletzung. Die Fraktur ist aber nicht die eigentliche Gefahr, sondern die Angst, dass Gefäße im Gehirn verletzt sind und bluten könnten oder eine schwere Gehirnerschütterung oder -verletzung vorliegt", sagt Korn. Eltern sollten mit ihrem Kind in eine Klinik kommen, wenn die Kinder sich nicht an den Sturz erinnern könnten oder Übelkeit, Erbrechen, Schwindel und Verwirrung hinzukämen - auch noch Stunden oder Tage nach dem Sturz. Im AKK werden jährlich etwa 700 Kinder mit Kopfverletzungen aufgenommen, und etwa zehn davon operiert. Klarheit über eine Verletzung im Kopf gibt ein Kernspintomogramm.

Zwei Wochen später: Dalai sitzt wieder mit seinen Eltern im Gipsraum des AKK. "So, heute machen wir den Gips endgültig ab", sagt Dr. Sommerfeldt. "Möchtest du ihn als Andenken mitnehmen?" Dalai weiß nicht so recht, sagt dann aber Ja. "Mitte Februar sehen wir uns wieder, dann müssen wir die Metalldrähte entfernen. Dann wirst du kurz schlafen, das dauert nicht lange, und am gleichen Tag darfst du wieder nach Hause."