Teil 8: Spielen und seine Bedeutung Es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, und Kinder erproben so, was sie als Erwachsene brauchen.

An diesem Tag werden Paula, 6, und Kennith, 5, zu echten Baumeistern. Sie errichten auf einem Tisch in ihrer Kindertagesstätte ein kunstvolles hohes Gebäude aus bunten Plastikstäben. "Das ist eines der Spiele, mit dem Kinder im Vorschulalter räumliche Vorstellungen entwickeln, Statik erfahren und dreidimensionale Zusammenhänge erlernen", sagt Maria Grüber, Leiterin der Kita Deelbögenkamp, einer der 18 Kindertagesstätten des Vereins Kinderwelt Hamburg. Zum Konzept gehört, dass die pädagogische Arbeit in verschiedenen Gruppenformen stattfindet - je nach den Bedürfnissen der Kinder und nach Angeboten.

So gibt es einen Bewegungsraum für diejenigen, die gern toben, einen Wasserspielraum oder ein Atelier für kleine Maler. "Es geht uns darum, eine anregende Umgebung mit hohem Aufforderungscharakter für die Kinder zu schaffen, damit sie sich dort selbstständig, kreativ und ungestört ihre Umwelt aneignen können. Spielen ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Darüber verarbeiten Kinder die Erfahrungen, die sie im Alltag sammeln, und erarbeiten sich neue Handlungsstrategien", sagt die Sozialpädagogin.

"Im Spiel erprobt das Kind wichtige Kompetenzen, die es als Erwachsener braucht", ergänzt Prof. Georg Romer, stellvertretender Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik am Universitätsklinikum Eppendorf. Um beispielsweise später in der Arbeitswelt Ideen in ein Team einbringen zu können, braucht es komplexe kommunikative Fähigkeiten. "Die dafür erforderlichen Kompetenzen übt das Kind über Jahre spielerisch ein und lernt dabei zum Beispiel das Zusammenspiel mit anderen Menschen." Auch in der Kita Deelbögenkamp werden die Kinder spielerisch an spätere Aufgaben herangeführt. So können sie am Vormittag neben den Freispielphasen zwischen mehreren Angeboten wählen. "Damit wollen wir die Entscheidungsfähigkeit der Kinder fördern und sie am Alltag in der Kita in einem hohen Maß beteiligen", sagt Maria Grüber. Deswegen gibt es auch eine Kinderkonferenz, die die Kinder an vielen wichtigen Entscheidungen beteiligt, etwa an der Gestaltung von Räumen und Regeln. "Wir brauchen Menschen, die sich Gedanken machen, Verantwortung übernehmen und in der Lage sind, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen, und das fängt schon bei Kindern an", sagt die Sozialpädagogin.

Kreativität entfaltet sich ebenfalls im Spiel. "Das beginnt damit, dass der Säugling mit seinem Daumen spielt und dabei kennenlernt, welche Bewegungsabläufe möglich sind. Als Nächstes kommt die Rassel, und so wird die Motorik weiterentwickelt. Im Spiel bewegte Gegenstände bekommen symbolische Bedeutung. Diese Kombination von innerer Fantasie und Einwirken auf die gegenständliche Welt macht das Spielerische aus", sagt Romer. Für das Spiel der Kinder sei es aber wichtig, dass es in einem möglichst angstfreien Raum passiert, sodass das konkrete Tun - anders als im Erwachsenenleben - keine ernsten Folgen hat. Irgendwann ist das Spiel vorbei, und es beginnt ein neues. Neues Spiel, neues Glück.

Grundsätzlich werden zwei Arten des Spiels unterschieden. Im Spiel mit Gegenständen entwickelt das Kind die Fähigkeit, allein zu sein, ohne sich einsam zu fühlen. Dabei werden Gegenstände zum Leben erweckt und nehmen den Platz eines Spielkameraden ein: Der Teddy kann sprechen und der Holzklotz fliegen. Auf der anderen Seite steht das Spiel mit einem Partner, das beide gestalten. "Einfaches Beispiel sind die Guck-weg-Spiele im Kleinkindalter zwischen Mutter und Kind, die fein aufeinander abgestimmt sind", sagt der Kinderpsychiater.

Im Alter von zwei bis drei Jahren beginnen bereits die Rollenspiele. Wenn Kinder zum Beispiel in der Kita zusammenkommen, entwickeln sie dabei schnell eigene Ideen. "Auch sie sind eine Vorbereitung auf das spätere Leben, denn als Erwachsener muss ich in vielen verschiedenen Rollen funktionieren, zum Beispiel als Familienvater, als Vereinsmitglied oder als Teilnehmer am Straßenverkehr", sagt Romer. Bei Regelspielen, die ab dem dritten Lebensjahr beginnen, lernen Kinder, sich an Vorgaben zu halten und es auch zu ertragen, wenn sie verlieren.

Auch wenn dabei gelegentlich Frust aufkommt - das Wichtigste ist: Spielen soll Spaß machen. "Wenn hinter einem Spielangebot nicht primär der Wunsch steckt, dass ein Kind Freude am Spiel entwickelt, sondern der Ehrgeiz der Eltern, dass ein Kind möglichst früher leistungsfähiger sein soll als ein anderes Kind, dann ist die Grundidee des Spielens zerstört. Das Kind verliert dann schnell die Lust daran." Das ist auch der Fall, wenn Kinder mit Spielen konfrontiert sind, die ihrem Entwicklungsstand noch nicht entsprechen, oder wenn Erwachsene statt zu Spielpartnern zu Lehrern oder Trainern werden. "Sie sollten sich an die Verspieltheit der eigenen Kindheit erinnern und möglichst ein Partner auf Augenhöhe sein und die Rolle des Erwachsenen, der dem Kind etwas beibringen will, für den Moment des Spiels außen vor lassen", rät der Kinderpsychiater.

Gestörtes Spielverhalten kann sich darin zeigen, dass es dem Kind schwerfällt, sich auf eine Sache zu konzentrieren, und dass es sprunghaft von einem Spielzeug zum nächsten wechselt. "Dann sollten Eltern versuchen, durch ruhige, gemeinsame Spiele die Konzentration des Kindes zu fördern, und sich in der Kita erkundigen, ob das Kind dort auch so ruhelos ist. Kommt von den Erziehern eine solche Rückmeldung, sollten Eltern Rat bei Kinderärzten oder Kinderpsychiatern suchen", empfiehlt Romer.

Das Spielverhalten kann auch gestört sein, wenn das Kind Vernachlässigung, Misshandlung oder sexuellen Missbrauch erfahren hat. "Durch die reale Bedrohung, die es erlebt hat, ist seine Fantasie blockiert. Dadurch verschwinden Freude und Beseeltheit aus dem Spiel. Es bewegt Gegenstände monoton und stereotyp, ohne innere Anteilnahme. Diese Kinder brauchen eine Spieltherapie, die darauf abzielt, einen geschützten Raum entstehen zu lassen, indem sich Fantasie entfalten kann,ohne bedrohlich zu werden."

Angesichts der hohen Leistungsanforderungen, die immer mehr an Bedeutung gewinnen, stellt sich auch die Frage, ob Kinder heute überhaupt noch genug Zeit zum Spielen haben. "Wir laufen Gefahr, Spielräume von Kindern zunehmend zu zerstören, weil sie kaum noch Zeit und Orte finden, die nicht durch Erwachsene reglementiert sind", sagt Romer. Viele Kinder haben einen vollen Terminkalender und kaum noch Zeit zum freien Spielen. Die andere Gefahr geht von unbegrenzt zugänglichen Videokonsolen in Kinderzimmern aus, die Kinder einseitig überreizen, ohne dass sie gleichzeitig in Bewegung und lebendige Begegnung kommen.

Alle Folgen

28.1. Bauchschmerzen

30.1. Neurodermitis

31.1. Infektionen

1.2. Diabetes

2.2. Asthma und Allergien

3.2. Erkältungen

4.2. Sport und geistige Entwicklung

6.2. Spielen und seine Bedeutung

7.2. Kopfschmerzen

8.2. Ernährung

9.2. Augenkrankheiten

10.2. Unfälle

11.2. Gesundheitsgipfel