Der Skispringer geht mit dem brisanten Thema an die Öffentlichkeit - wie nur wenige Profikollegen.

Hamburg. Die Rechnung der Skispringer ist so einfach wie brutal: Wer leicht ist, fliegt weit. Jedes Kilo mehr kostet Meter. Für Martin Schmitt ging diese Rechnung nicht auf. Vier Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele in Vancouver ist der 31-Jährige am Ende seiner Kräfte: ein blasses Gesicht, ein abgemagerter Körper. "Dass ich nicht voll leistungsfähig bin, liegt auch daran, dass ich mich seit Jahren in einem Grenzbereich bei meinem Gewicht bewege", gesteht Schmitt in der "Bild".

Er hungert wie ein Magermodel. Jetzt ist er einer der wenigen Profispringer, die mit dem brisanten Thema an die Öffentlichkeit gehen. Der finnische Springer Janne Ahonen hatte in seinem Buch "Königsadler" Details beschrieben: Vor jeder Saison nahm er acht Kilo ab, morgens und abends aß er nur Müsli mit fettfreiem Quark, mittags nichts - manchmal aber fettverbrennende Tonalin-Tabletten. Über Urlaubsfotos von Sven Hannawald schrieb er: "Es waren so viele Fettspeicher vorhanden wie bei einem hungernden Menschen in Afrika, dem der sichere Tod bevorsteht." Skispringer aus Österreich streuten sich Kakaopulver ins Wasser, damit es besser schmeckt.

Der Wahnsinn Skispringen: Es geht um Grenzwerte. Schmitts Grenze liegt bei 63 Kilo (bei 1,82 Meter Größe). So viel wiegt er gerade. Um sich wohlzufühlen, müssten es vier Kilo mehr sein, sagte er. Ihm fehlen alle Reserven . "Etwa 30 000 Kalorien hat der Körper als Fett gespeichert, dazu etwa 3000 Kalorien als Kohlenhydrate", sagt Prof. Kai Röcker, Sportmediziner von der Uniklinik Freiburg. "Gehen diese Reserven zur Neige, zieht sich der Körper Kalorien aus wichtigen Eiweißsubstanzen." Darunter leide die Muskulatur. Wenn ein Sportler Energie benötige, fehlen Nährstoffe. Die Beine werden schlapp. Schmitt merkte das sogar bei Testsprüngen auf die Arme seines Trainers.

"Skispringer haben weniger als zehn Prozent Körperfett. Bei normalen Männern liegt der Anteil bei mindestens 20 Prozent", sagt Ernährungsberaterin Andrea Stensitzky-Thielemans (Gesellschaft für Ernährung). Noch im November war Schmitt bei ihr. "Seine Körperwerte waren gut. Auch mental machte er auf mich einen guten Eindruck. Wir mussten uns keine Sorgen um ihn machen." Doch vor allem die vielen Jahre, die Schmitt schon springt, belasten seinen Körper. "Jede Saison ist mit monatelanger Diät verbunden", sagt Stensitzky-Thielemans. "Nach Ende eines Jahres haben die Skisprung-Profis nur wenige Wochen, in denen sie alles essen dürfen, was ihnen schmeckt." Ende Mai ist die Schonzeit vorbei. Dann beginnt die Vorbereitung auf die Saison - vier bis acht Kilo müssen wieder runter.

Abtrainieren heißt: hungern am Limit. "Ich hatte schon einen Skispringer, der seine Energie aus ein paar Litern Cola und Brühe geholt hat", erzählt Stensitzky-Thielemans. "Gegessen hat er nichts - über eine ganze Woche." Sie begrüße die Diskussion des internationalen Skiverbands, den Body-Mass-Index von 18,5 auf 20,5 zu erhöhen. Schmitt wünscht sich einen Wert von 21. Die Vierschanzentournee beendete er nur auf dem 21. Platz. Er habe unter "großen Schlafproblemen" gelitten und sich bisweilen von 1300 Kilokalorien am Tag ernährt. Janne Ahonens Diät war noch brutaler. Er begnügte sich an manchen Tagen nur mit 200 Kilokalorien.