Zwei Münchner Studenten der Sozialwissenschaft fördern das Projekt - und sorgen auch in Hamburg für Spaß und Bewegung.

München. Anfeuerungsrufe, Jubel, Klatschen - im ersten Stock des Hesse-Diederichsen-Heims in Hamburg-Barmbek ist heute Morgen schwer was los. Der Anlass ist für ein Seniorenheim eher ungewöhnlich. In dem großen, hellen Aufenthaltsraum wurde zur Bowling-Meisterschaft geladen. Außergewöhnlich ist zudem die Ausrüstung. Statt mit echten Kugeln und Pins (Kegeln) wird hier an der Wii-Spielkonsole gebowlt, einem Computer, den man sonst eher mit jungen Menschen in Verbindung bringt.

"Wenn hier das Fenster offen ist, kann man in meinem Büro sehr gut hören, wie viel Spaß die Senioren haben", sagt Heimleiterin Felicitas Stempell (61). Die Wii-Spielekonsole wurde bereits im vergangenen Jahr angeschafft. Seitdem treffen sich die betagten Gamer fast jede Woche, um ihre virtuellen Athleten auf dem Bildschirm mit Hand- und Armbewegungen zu Höchstleistungen anzutreiben. Eine kleine Kamera in der Wii-Fernbedienung überträgt jede Aktion in die virtuelle Welt. So kann man auch vom Rollstuhl aus Rekorde aufstellen. Ehrensache, dass die beiden vierköpfigen Bowling-Teams vollzählig und hoch motiviert zur "Wii Sports Bowling Seniorenmeisterschaft Deutschland" angetreten sind, um ihr Haus würdig zu vertreten. "Im Gegensatz zum Fernsehen ist älteren Menschen die Welt des Computers in der Regel nicht vertraut", sagt die Heimleiterin. Kegeln hingegen sei den meisten von früher bekannt, das helfe, Berührungsängste zu überwinden.

Von Berührungsängsten ist hier heute jedenfalls nichts zu spüren. Nur Frau Müller (89) ist nach eigenem Bekunden etwas nervös, weil sie immer alles so gut wie möglich machen wolle. Doch genau das ist es ja, was erfolgreiche Sportler ausmacht.

An der mittels eines Projektors auf der Wand vergrößerten Bowlingbahn vollendet die 95-jährige Frau Weber unterdessen einen Spare, das heißt, sie wirft die letzten Kegel um. Da sind selbst Markus Deindl (26) und Josef Kiener (34) beeindruckt. Bereits im vergangenen Jahr waren die beiden Münchner Studenten von der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften in deutschen Großstädten unterwegs, um ihre Botschaft "Senioren an die Konsole!" zu verbreiten. "Wir möchten geistige und motorische Fähigkeiten fördern, Ehrgeiz und Teamgeist wecken und gleichzeitig die Angst vor technischen Geräten nehmen", beschreibt Kiener die Ziele des Projekts. Aber vor allem sei es großartig, die Freude der Senioren zu beobachten, "diesen Stolz, mit einem Gerät umgehen zu können, mit dem sonst ihre Enkel spielen".

Auch die im Heim beschäftigte Sozialpädagogin Sabine Engler (46) hat "selten mit einer so dankbaren Zielgruppe gearbeitet". Langeweile sei eines der größten Probleme in den Heimen. "Sinnvolle Freizeitbeschäftigungen bedeuten zufriedenere Bewohner und weniger Stress für die Betreuer." Kein Wunder, dass die Initiatoren auf immer größere, durchweg positive Resonanz stoßen. Über ihre Webseite www.wii-senioren.de bekommen sie mittlerweile mehr Anfragen, als sie bewältigen können. "Wir können leider nur größere Städte wie Hamburg, München, Berlin und Köln abdecken", sagt Josef Kiener. In kleineren Orten müssten die Heime die Kosten für Anfahrt und Übernachtung übernehmen, und dazu fehle meist das Geld. Immerhin seien viele Einrichtungen durch das Projekt auf die Idee gekommen, eine Spielkonsole anzuschaffen. "Wir haben da einen Stein ins Rollen gebracht."

Wie und ob es im nächsten Jahr weitergeht, ist ungewiss. "Das hängt von unserem beruflichen Werdegang und natürlich von den Sponsoren ab", so der Student, der im nächsten Jahr seine Bachelor-Arbeit zum Thema "Wii-Bowling in Senioreneinrichtungen" beenden will. Potenzielle Nachfolger könnten sich über die Webseite direkt an ihn wenden.

Die Bewohner des Hesse-Diederichsen-Heims wären jedenfalls nach eigenem Bekunden alle wieder dabei. Dann könnte Herr Frese (67), Gesamtsieger und einziger männlicher Teilnehmer des Wettbewerbs, den Damen Revanche bieten. Denn so etwas kann eine ehrgeizige Cyber-Sportlerin wie Frau Müller natürlich nicht auf sich sitzen lassen.