Die Schmelze der Eismassen in den vergangenen zehn Jahren ist gewaltig, beweist ein neues Messverfahren.

Die Alpengletscher schwinden. Den massiven Rückgang belegen alte Postkarten im Vergleich zu aktuellen Fotos. Doch welche Ausmaße die Gletscherschmelze tatsächlich einnehmen, lässt sich aus den Aufnahmen allein nicht bestimmen. Nun aber gelang es Schweizer Forschern erstmals, das genaue Volumen der Gletscher in der Alpenrepublik zu berechnen.

Wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "Global and Planetary Change" berichten, tauten allein in den vergangenen zehn Jahren zwölf Prozent der gesamten alpinen Eismassen ab.

"Die Berechnung des aktuellen Eisvolumens ist der wichtigste Indikator, um Voraussagen über zukünftige Veränderungen der Gletscher zu machen", sagt Glaziologe Martin Funk,

Leiter der Abteilung Glaziologie an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (ETHZ).

Mit einem neuen Verfahren konnte Funk zusammen mit seinen Kollegen allein aus der Topografie der Gletscheroberfläche und der geschätzten Verteilung der Oberflächenmassenbilanz das Eisvolumen berechnen. Die neue Methode geht auf das Prinzip des Massenerhaltungsgesetzes zurück. Danach muss die Oberflächenbilanz durch den Eisfluss und die Eisdickenänderng ausgeglichen werden. So können die Eis-Experten allein aufgrund der Beschaffenheit der Gletscheroberfläche sowie der geschätzten Verteilung der Oberflächenmassenbilanz das gesamte Volumen des Eises berechnen. Im Gegensatz zu den bisherigen Schätzverfahren wird so erstmals die räumliche Verteilung der Eisdicke eines Gletschers erkennbar. "Die Berechnung des aktuellen Eisvolumens ist der wichtigste Indikator, um Voraussagen über zukünftige Veränderungen der Gletscher zu machen", sagt Funk. Für die aktuellen Berechnungen konzentrierten sich die Forscher auf die 59 größten Schweizer Gletscher, die etwa 88 Prozent aller Eismassen dort ausmachen. Die übrigen 1400 kleineren Gletscher fallen daher nicht groß ins Gewicht.

Das Ergebnis ihrer Berechnungen: 1999 lag das Gesamtvolumen der Schweizer Gletscher bei etwa 74 Kubikkilometer Eis. Aufgetaut hätten die Eismassen bereits damals nicht einmal den Genfer See mit 89 Kubikkilometer Wasser füllen können.

Heute machen die im Mittel etwa 70 Meter dicken Eiszungen, die sich über eine Gesamtfläche von 1063 Quadratkilometern erstrecken, gerade mal zwei Drittel des Genfer Sees aus. Mit dieser bisher genauesten Abschätzung der Schweizer Alpengletscher kann der zukünftige Eisschwund besser beziffert werden.

Da die mittlere Sommertemperatur in den Alpen bis 2050 sogar um 2,7 Grad Celsius zunehmen soll, befürchten viele Experten sogar, dass die riesigen Wasserspeicher komplett verschwinden könnten.

Heute zählen die Wissenschaftler die Gletscherbestände der Erde bei den Klimaprognosen noch zu den unsicheren Faktoren. Es ist schwierig, das Eisvolumen genau zu bestimmen, und seine Auswirkungen - etwa auf den Meeresspiegelanstieg - sind deshalb mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Das neue Verfahren könnte diese Unsicherheiten nun aus dem Weg räumen.