Es ist eine archäologische Sensation: Wissenschaftler haben bestätigt, dass im Grab des Apostels tatsächlich ein Mensch bestattet wurde, der im 1. Jahrhundert lebte.

Rom. Auch ungewöhnliche Wunder tat Gott durch die Hand des Paulus", heißt es in der Apostelgeschichte des Lukas. "Sogar seine Schweiß- und Taschentücher nahm man ihm vom Körper weg und legte sie den Kranken auf; da wichen die Krankheiten, und die bösen Geister fuhren aus." Nicht nur für Gläubige muss nun die Entdeckung von Teilen der Kleider des Apostels als archäologische Sensation sondergleichen bezeichnet werden.

Doch nicht nur das. Das christliche Rom wurde unter Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert quasi über den Apostelgräbern neu gegründet und errichtet. Heute gibt die mächtige Barockkuppel des Petersdoms über dem Grab des Petrus der Stadt der Päpste ihr unvergleichliches Profil.

Und Benedikt XVI. ließ es sich deshalb auch nicht nehmen, höchstpersönlich zu verkünden, was erste Erkundungen des Sarkophages in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern inzwischen ans Licht gebracht haben - auch wenn bislang vor allem nur als Lichtbilder auf den Bildschirmen diverser Rechner.

"Wir sind hier versammelt beim Grab des Apostels", begann der Papst seine Predigt, "dessen Sarkophag unter dem Papstaltar kürzlich Gegenstand einer sorgfältigen wissenschaftlichen Analyse geworden ist. In den seit Jahrhunderten verschlossenen Sarkophag wurde eine winzige Öffnung gebohrt, durch die sich eine Spezialsonde ins Innere führen ließ."

Was das technische Gerät zutage förderte, war sensationell: Spuren von kostbarem purpurfarbenen Leinen, besetzt mit Blattgold, und von einem blauen Textil mit Leinenfasern. Außerdem rote Weihrauchkörner, eiweiß- und kalkhaltige Substanzen. Und, vor allem, winzige Knochenfragmente, deren Alter Experten durch Analysen des zerfallenden Kohlenstoffisotops C-14 ermittelten. Die Untersuchung ergab, dass die Gebeine einer Person gehörten, die im 1. oder 2. Jahrhundert gelebt hat. Die Herkunft der Objekte war den Wissenschaftlern vor der Analyse nicht mitgeteilt worden. "Dies scheint die einmütige und unangefochtene Tradition zu bestätigen", so der Papst, "dass wir es hier mit den sterblichen Überresten des Apostels Paulus zu tun haben. All dies erfüllt uns mit tiefer Bewegung." Der heilige Paulus ist aus der Sicht der Kirche also genau dort bestattet, wo sie ihn immer vermutet hatte.

Spektakulärer hätte Papst Benedikt XVI. das von ihm ausgerufene Paulus-Jahr nicht beenden können. Dennoch muss gerade bei ihm als selbstverständlich gelten, dass er die Untersuchung nicht aus taktischem oder gar medialem Kalkül betrieben hat, sondern mit jener wissenschaftlichen Neugier, die schon sein theologisches Werk durchzieht. Tatsächlich hat Benedikt mit dem Schritt zwar einmal mehr das Gesetz des Handelns wieder an sich gezogen - doch die aufrichtige Nähe des Nachfolgers Petri zum Apostel Paulus, der keine Nachfolger hatte, überwiegt ganz offensichtlich alle seine anderen Motive.

Hier sieht er nun, dass Paulus wie ein König begraben wurde oder - wahrscheinlicher - nach seinem Tod umgebettet worden war, als dessen Verehrung im 4. Jahrhundert den Umbau der kleinen Gedenkstätte auf einem antiken römischen Friedhof an der Via Ostiense in eine große Basilika unumgänglich werden ließ. "San Paolo fuori le Mura", Sankt Paul vor den Mauern, wurde über dem Grab erbaut.

Der Verdacht, dass es davor vielleicht einen Riss in der Tradition für die Identität des Apostelgrabes gegeben haben könnte, kann damit wohl entkräftet werden. So sollen hier nun also die sterblichen Überreste des Apostels Paulus vor uns liegen - ähnlich wie die des Petrus, dessen Grab erst von Papst Pius XII. in umfangreichen Grabungen in den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts unter dem Hauptaltar von Sankt Peter freigelegt wurde.

Hier aber, in der Kirche San Paolo fuori le Mura, haben wir wohl einen viel reicheren Umfang der Fundstücke vor uns.

Petrus hatte Jesus von Nazareth in der Nacht vor dessen Hinrichtung verlassen und verleugnet, und keiner hat die frühe Kirche schärfer verfolgt als Paulus in seinen jungen Jahren. Er hatte "eine Wut ohnegleichen gegen die werdende Kirche entfesselt", sagte Bernhard von Clairvaux im 12. Jahrhundert, "doch dann wurde Paulus zum Glauben geführt durch den Sohn Gottes selbst. Im Gegenzug zu so großen Schandtaten wurde er mit überragenden Gütern überhäuft und zum auserwählten Werkzeug gemacht, den Namen des Herrn vor Völker und Könige und die Söhne Israels zu tragen."

An dieser Geschichte wird die Wiederentdeckung des Grabes nichts ändern. Sie wird viele Erkenntnisse vertiefen und die Erinnerung an den Anfang der Christenheit auf neue Weise beleben. Die erste Sondierung des Innern des Sarkophages kann daher nur begriffen werden als die Lektüre einer ersten Seite eines neuen Buches, das damit jetzt gerade aufgeschlagen worden ist.

Die Sondierung war ein Pilotprojekt, dem gewaltige Untersuchungen noch folgen werden, wie Kardinal Andrea Cordero Lanza di Montezemolo verraten hat, der Erzpriester von Sankt Paul vor den Mauern: "Der Papst wird uns erlauben, das ganze Grab zu öffnen." Die weiteren Untersuchungen werden allerdings "eine lange und heikle Arbeit" sein, so der Kardinal. "Für Forscher und Archäologen ist das eine schwierige Herausforderung." Zuerst müsste der Papstaltar, der unmittelbar über dem Grab steht, zerstört und der Baldachin eventuell zur Seite gerückt werden. Der Sarkophag ist riesig, man könnte ihn nicht an Ort und Stelle untersuchen, sondern müsste ihn nach außen schaffen.

Das Material ist tonnenschwer und eine Aufgabe für schwerstes Gerät und feinste Pinzetten zugleich. Dieser Prozess wird die Wissenschaft gewiss noch Jahre beschäftigen. Hier hat eben alles seine Weile.