Jedes sechste Tumorleiden wird durch infektiöse Krankheitserreger verursacht. Impfungen und Therapien könnten viele Fälle verhindern

London/Hamburg. Eine von sechs Krebserkrankungen weltweit geht auf infektiöse Krankheitserreger zurück und ist damit potenziell vermeidbar. Das zeigt eine Datenauswertung, die französische Forscher durchgeführt haben. Demnach sind es vor allem vier Erregerklassen, die für einen Großteil der Krebsfälle verantwortlich sind: humane Papillomaviren (HPV), der Magenkeim Helicobacter pylori und Hepatitisviren B und C. Impf- und Therapieprogramme, mit denen diese Infektionen verhindert oder behandelt werden können, würden daher viel dazu beitragen, die globale Krebsbelastung zu senken. Das schreiben Forscher von der zur Weltgesundheitsorganisation WHO gehörenden International Agency for Research on Cancer (IARC) in Lyon im Fachblatt "The Lancet Oncology".

Basis der Studie waren Daten aus dem Jahr 2008 über das Auftreten von 27 Krebsarten in 184 Ländern. Ergänzt wurden sie durch weitere Daten aus einzelnen Ländern und Regionen. Zudem analysierten die Forscher, wie oft Infektionen bei Krebspatienten auftreten. Sie konzentrierten sich dabei auf Erreger, die nachgewiesenermaßen Krebs auslösen können. Neben den erwähnten vier Klassen zählen dazu zum Beispiel zwei Darmparasiten, die Leber- und Gallengangkrebs verursachen, und das Epstein-Barr-Virus als Auslöser von Lymphomen.

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Insgesamt gab es 12,7 Millionen neue Krebsfälle weltweit, von denen zwei Millionen auf das Konto von Krankheitserregern gingen. Von den 7,5 Millionen Todesfällen 2008 waren 20 Prozent auf infektionsabhängige Krebsarten zurückzuführen. Die vier häufigsten Erreger - HPV, Helicobacter pylori, Hepatitis B und C - waren zusammen für 1,9 der zwei Millionen erfassten infektionsabhängigen Krebserkrankungen verantwortlich. Das sei besonders frappierend, weil sich diese Erkrankungen gut verhindern beziehungsweise behandeln lassen, so die Forscher: Gegen HPV und Hepatitis B gibt es Impfungen, Helicobacter und Hepatitis C sind therapierbar.

Etwa 80 Prozent der infektionsabhängigen Erkrankungen findet sich in Ländern, die nicht zu den klassischen Industrieländern zählen. Während in Subsahara-Afrika 32,7 Prozent der Krebsleiden auf Infektionen zurückgehen, sind es in Australien und Neuseeland nur 3,3 und in Europa sieben Prozent. Die Zahlen seien die beste Schätzung, die zurzeit existiere, so die Forscher. Und eines zeigten die Daten deutlich: Einfache Maßnahmen wie flächendeckende Impfungen, antimikrobielle Behandlungen und das Sicherstellen von Hygiene in medizinischen Einrichtungen könnten die Zahl der Krebsfälle weltweit drastisch senken.

Ob die 2006 eingeführte Impfung gegen HPV die Rate der Gebärmutterhalserkrankungen tatsächlich senkt, lässt sich jetzt noch nicht beurteilen. "Denn es dauert mehr als zehn Jahre, bis sich nach einer Infektion ein Gebärmutterhalskrebs entwickelt", sagt Prof. Fritz Jaenicke, Direktor der Frauenklinik am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf. Aber eine HPV-Infektion sei nicht gleichbedeutend mit Krebs, betont der Gynäkologe: "Nur ein Prozent der Frauen, die mit diesen Viren infiziert sind, bekommen tatsächlich Gebärmutterhalskrebs."

Auch für den Magenkrebs ist nicht nur das Bakterium Helicobacter pylori entscheidend. "Der Helicobacter ist nur einer von vielen Faktoren, die Magenkrebs auslösen können. Aufgrund dieser Vielfalt ist es nicht gerechtfertigt, Patienten, die zwar den Keim, aber keine Beschwerden haben, zu behandeln", sagt Privatdozent Dr. Siebert Faiss, Chefarzt der Gastroenterologie in der Asklepios-Klinik Barmbek. Die Zahl der Menschen, die dieses Bakterium in sich tragen, sei in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland zudem deutlich zurückgegangen.

Das Risiko für Leberkrebs steigt bei einer Hepatitis, die nicht ausheilt, sondern chronisch wird. Bei Hepatitis C ist die Gefahr größer als bei Hepatitis B. Bis aus einer chronischen Entzündung Leberkrebs werde, dauere es mitunter Jahre, sagte Prof. Dirk Arnold, Leiter des Universitären Cancer Centers Hamburg am Uniklinikum Eppendorf. "Die Therapie der Hepatitis C kann das Risiko für Leberzirrhose und Leberkrebs deutlich senken."