Vor 75 Jahren verunglückte die “Hindenburg“. Es ist das erste Inferno der Luftfahrt. Und das schlimmste Unglück seit dem Untergang der Titanic.

Das leichte Flattern der Außenhaut fällt nur dem Bootsmann R. H. Ward von der US Navy auf. Zwischen den Ringen 62 und 77 huschen plötzlich Wellen über die glänzende Hülle des Zeppelins, so als würde dort der Fahrtwind oder der Strahl einer Luftschraube auf die Baumwoll- und Leinenbahnen einwirken. Doch LZ 129 "Hindenburg" hält schon längst am Landemast von Lakehurst, die Taue sind abgeworfen, die Motoren drehen nur noch im Leerlauf und die Holzpropeller stehen still.

Was Ward sieht, ist der Hauch des Todes. Denn die Bahnen aus Baumwolle und Leinen werden nicht von außen, sondern von innen bewegt: Aus Zelle Nr. 5, so schließt der Untersuchungsbericht später aus der Beobachtung des Bootsmanns, strömt Wasserstoff-Traggas aus. Augenblicke später, exakt um 18.25 Uhr, entzündet es sich. Ein Feuerstrahl frisst sich 15 Sekunden lang und 30 Meter weit in Richtung Bug, dann folgt die erste Explosion.

In nur einer halben Minute vollendet sich die Vernichtung eines vielbewunderten Menschenwerks durch die unbeherrschbaren Kräfte einer immer wieder unterschätzten Natur. Ein winziger atmosphärischer Funken holt das Paradestück einer promethischen Technik vom Himmel. Das schreckliche Zischen der Flammen, die tränenerstickte Stimme des US-Radioreporters Herbert Morrison erschüttern die Menschen 75 Jahre nach der Katastrophe vom 6. Mai 1937 noch genauso tief wie damals.

+++In 59 Stunden von Deutschland in die USA+++

Die Katastrophe der "Hindenburg" ist das erste Inferno der Luftfahrt, das schlimmste Unglück seit dem Untergang der "Titanic" und auch ein Fanal gegen die Hybris eines grenzenlosen Fortschrittsglaubens. Und sie ist das letzte Kapitel in einem Epos des Wagens und Vollbringens, das am 2. Juli 1900 mit dem ersten Starrluftschiff des genialen Konstrukteurs Ferdinand Graf von Zeppelin beginnt.

LZ 129 "Hindenburg" ist schon das 118. Luftschiff und mit seinem Schwesterschiff LZ 130 das größte aller Zeiten: 245 Meter lang, 36-eckig, größter Durchmesser 41,2 Meter, Dienstgewicht 215 Tonnen, Prallgasinhalt 200 000 Kubikmeter. Gerippe aus besonders festem, hartem Duraluminium. Beim letzten Start am 3. Mai 1937 in Frankfurt am Main hat die "Hindenburg" schon 55 Fahrten hinter sich, 300 000 Kilometer zurückgelegt, 2800 Passagiere befördert und 34-mal den Ozean überquert. Die begeisterten Kommentare der Reporter, die in den Zeitungen über die "Wunderschönheit", "leuchtende Herrlichkeit" und "titanische Erhabenheit" des "Gigantenfahrzeugs" schwärmen, sind bereits ein wenig abgeklungen, Reisen nach New York längst Routine.

An Bord sind 36 Fluggäste, weniger als sonst, und 61 Mann Besatzung, mehr als üblich. Die einfache Fahrt kostet 400 Dollar, so viel wie heute 10 000 Euro. In den Schlafkabinen gibt es fließend warmes Wasser, im Speisesaal Menüs à la carte, Live-Pianomusik vom Aluminiumflügel und sogar einen Rauchsalon. Die einzigen Streichhölzer an Bord hält allerdings ein Stewart unter Verschluss: Die US-Regierung hat sich geweigert, den Deutschen das nicht brennbare Helium zu liefern, und deshalb ist das Luftschiff noch immer mit leicht entzündlichem Wasserstoff gefüllt.

Die "Hindenburg" transportiert auch 17 609 Postsendungen, 148 Kilo Fracht, 879 Kilo Gepäck und zwei Körbe mit Hunden. Bei der Anfahrt auf den Landeplatz Lakehurst im US-Staat New Jersey, einem Stützpunkt der US-Marineflieger, sind noch 8500 Kilo Gasöl, 3000 Kilo Schmieröl und 21 900 Kilo Wasser in den Tanks. Die Landung ist nicht unkompliziert. Gegenwind hat schon die Atlantiküberquerung verzögert. Um 14 Uhr erreicht die "Hindenburg" New York, eine Stunde später Lakehurst, doch dort zieht eine breite Gewitterfront auf. Die "Hindenburg" weicht nach Südwesten in Richtung Atlantic City aus.

Um 17.12 Uhr meldet ein Funkspruch aus Lakehurst, die Luft sei rein, und Kapitän Max Pruss kehrt um. Der Marineoffizier ist schon im Ersten Weltkrieg Luftschiffe gefahren. Lakehurst empfiehlt, jetzt so schnell wie möglich zu landen. Doch der wechselnde Wind erschwert die Anfahrt. Erst bläst er aus Osten, dann springt er auf Südosten um.

"Die Motoren waren nach Beendigung der ersten großen Kurve auf Leerlauf voraus gegangen", heißt es in dem Untersuchungsbericht, den ein deutscher Untersuchungsausschuss nach dem Unglück veröffentlichte. "Während der Anfahrt in der letzten Kurve wurden mehrere kurze Manöver mit den Motoren vorgenommen. Etwa 2 Minuten vor Abwerfen der Bug-Ankertaue wurden alle Maschinen für die Dauer von etwa 1 Minute auf volle Rückwärtsfahrt gebracht. Danach gingen die vorderen Maschinen auf Leerlauf voraus und die hinteren Maschinen auf Leerlauf zurück. In dieser Stellung verblieben die Maschinen bis zum Schluß, mit Ausnahme eines kurzen Stoßes ,voll voraus' an den vorderen Motoren."

Der Bericht glaubt, "daß das erste Feuer an der Oberseite des Schiffes ausbrach und zwar vor der Eintrittskante der senkrechten Stabilisierungsfläche oberhalb der Zellen 4 und 5".

Dort, so die Schlussfolgerung, entsteht während der Anfahrt zur Landung "in der Zelle 4 oder 5 im Heck des Schiffes vielleicht durch Reißen eines Spanndrahtes ein Leck, durch das Wasserstoffgas in den Raum zwischen Zelle und Hülle einströmte. Hierdurch bildete sich im oberen hinteren Teil des Schiffes ein brennbares Wasserstoff-Luftgemisch."

Es ist ein Cocktail des Todes: "Nach Abwerfen der Landetaue wurde die Oberfläche der Außenhülle des Luftschiffes wegen der geringeren elektrischen Leitfähigkeit des Außenhüllenstoffes weniger gut geerdet als das Gerippe des Luftschiffes", erklären die Experten mit großer Genauigkeit. "Bei raschen Änderungen des atmosphärischen Feldes, wie sie bei einem Nachgewitter die Regel und auch im vorliegenden Fall anzunehmen sind, entstanden dann Potentialdifferenzen zwischen Stellen der Außenseite der Hülle und dem Gerippe."

+++Der Mann, der die Zeppeline nie erfunden hat+++

Es ist tödliche Physik: "Falls diese Stellen hinreichend feucht waren, was gerade in der Gegend der Zellen 4 und 5 infolge der vorangegangenen Durchfahrt durch ein Regengebiet wahrscheinlich war", sagt der Bericht, "konnten diese Potentialdifferenzen einen Spannungsausgleich durch einen Funken herbeiführen, der möglicherweise die Zündung eines über den Zellen 4 oder 5 vorhandenen Wasserstoff-Luftgemisches verursachte." 13 Passagiere, 22 Crewmitglieder und ein Mann vom Bodenpersonal sterben in dem Feuerball. Der Hapag-Dampfer "Hamburg" überführt die sterblichen Überreste später nach Cuxhaven, ein Sonderzug der Reichsbahn bringt sie in die Heimatorte der Toten. 368 Postsendungen, mit Brandspuren geborgen, werden begehrte Sammlerstücke.

Die Katastrophe der "Hindenburg" läutet das Ende der Verkehrsluftschifffahrt ein. Nazi-Luftfahrtminister Hermann Göring will vor allem wissen, ob die "Hindenburg" einem "verbrecherischen Anschlag" etwa durch eine Bombe oder ein Brandgeschoss zum Opfer fiel. Die Amerikaner unterstützen die Aufklärung nach Kräften und kommen schließlich zum gleichen Ergebnis wie die Deutschen: Der Himmel selbst hat die "Hindenburg" zur Hölle geschickt.

Erst als der Bug auf den Boden prallt, befiehlt Pruss in der Kommandogondel: "Alles raus!" Der Kapitän hilft dem Funker Willy Speck aus dem Wrack und schaut nach Überlebenden, bis Rettungskräfte ihn zwingen, mit ihnen zurückzugehen. Schwere Verletzungen entstellen ihn für immer. Kritiker werfen ihm vor, viel zu enge Kurven seines Landemanövers hätten zur Überlastung der Konstruktion geführt. Er selbst spricht von Sabotage.

An die Luftschifffahrt glaubt der Kapitän der "Hindenburg" bis zum letzten Tag seines Lebens. 1940 streitet er sich als Kommandant des Frankfurter Flughafens lautstark mit Göring über die Zukunft des Zeppelins. 1950 sammelt er Geld für ein neues Luftschiff, 1960 stirbt er nach einer Magenoperation an einer Lungenentzündung.