Berlin/Essen. Eine neue Regelung soll die Verschreibungsflut der Ärzte eindämmen. Patienten sollen so vor überflüssigen Antibiotika geschützt werden.

Es könnte ein Meilenstein sein im Kampf gegen multiresistente Keime: Niedergelassene Ärzte sollen künftig nur noch Antibiotika verordnen, die Patienten nachweislich helfen. Ohne vorherigen Wirksamkeitstest soll kein Mittel mehr verschrieben werden. So steht es in einem Vertrag zwischen dem BKK-Landesverband Nordwest und der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, der zum 1. Januar 2017 in Kraft tritt und zunächst bis Ende 2018 läuft.

Die bundesweit einmalige Modellvereinbarung gilt als Blaupause für eine nationale Regelung. Sie könnte Millionen Patienten überflüssige Antibiotika ersparen – und dem Gesundheitssystem Millionenkosten. Der Vorstoß geht auf eine Untersuchung zurück, die im Juli für bundesweites Aufsehen gesorgt hatte. Da hatte die BKK Abrechnungsdaten von sieben Millionen Versicherten aus 13 Bundesländern ausgewertet und festgestellt: Das Gros der ärztlich verordneten Antibiotika wird blind verschrieben.

Kein Antibiotikum ohne Wirksamkeitsprüfung

Vor allem von Allgemeinmedizinern: Unter mehr als 350.000 Harnwegs- und Wundinfektionen, die Hausärzte mit Antibiotika behandelten, fanden sich ganze 15 Fälle, die durch einen Wirksamkeitstest, ein sogenanntes Antibiogramm, abgesichert waren – ein Anteil von 0,004 Prozent. Die BKK Nordwest will beweisen, dass es auch anders geht. Für rund 850 Ärzte – Allgemeinmediziner, Hals-, Nasen-, Ohrenärzte, Kinder- und Jugendärzte – in NRW gilt künftig: kein Antibiotikum ohne Wirksamkeitsprüfung.

Bei Wund- und Harnwegsinfektionen sind Antibiogramme Pflicht, bei Rachenentzündungen sogenannte Antigen-Schnelltests. Davon profitieren rund 180.000 BKK-Versicherte. Die Ärzte bekommen alle Leistungen honoriert.

Mehrkosten von jährlich rund 77 Millionen Euro

„Eine bundesweite Regelung dieser Art würde den gesamten Antibiotikaverbrauch in Deutschland um ein Viertel senken“, sagt BKK-Vorstandsvize Dirk Janssen. „Für die Patienten hieße das: Sie müssten jährlich rund 68 Tonnen Antibiotika weniger schlucken.“ Das Modell trage sich selbst. Die Mehrkosten von jährlich rund 77 Millionen Euro wären laut BKK schon dann gedeckt, wenn nur die Hälfte der prognostizierten Antibiotikamenge eingespart werde.

Auf Maßnahmen der Bundesregierung will Janssen nicht warten. Die Entwicklung neuer Schnelltests, wie sie Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) anstrebt, verschwende nur Zeit. „Das ist eine Scheinlösung“, kritisiert der BKK-Vize. „Bis neue Verfahren in der Praxis ankommen, vergehen Jahre. Es fehlt nicht an Tests, sondern nur am Einsatz der vorhandenen Verfahren.“