Lieferlisten aus Restaurants und Kantinen führen Behörden zu einem Biobetrieb im Landkreis Uelzen. Der Bauernhof ist spezialisiert auf Gemüsesprossen. Ärzte hoffen auf den Durchbruch im Kampf gegen die Krankheit.

Hamburg. Die Suche ist fieberhaft. Sie dauert jetzt schon mehr als vier Wochen. Und seit gestern, 18 Uhr, reden die Jäger des unheimlichen EHEC-Erregers und des sogenannten HUS-Syndroms von einer "heißen Spur". Diese führt über Lübeck und Lüdersburg, Bochum und Klein Meckelsen ins niedersächsische Bienenbüttel im Landkreis Uelzen - und von dort womöglich bis nach Asien. Und wenn die Fahnder recht behalten, dann könnten Gemüsesprossen für einen der weltweit größten bislang beschriebenen Ausbrüche von EHEC/HUS verantwortlich sein, der laut Robert-Koch-Institut in Berlin hierzulande bisher 21 Todesopfer gefunden hat, "wobei insbesondere die Alters- und Geschlechterverteilung ungewöhnlich ist. Nach wie vor sind vor allem Erwachsene, überwiegend Frauen, betroffen."

In Deutschland sind Sojasprossen eine beliebte Salatgarnitur. Man bekommt sie in den Supermärkten meistens in der Bio-Ecke der Gemüseabteilungen oder auch sehr günstig in Asia-Shops. Sie sind sehr ballaststoffreich. So weit die Theorie aus dem Lexikon für gesunde Ernährung.

Doch bereits in den vergangenen Monaten hat das Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt (HU) 100 Proben verschiedener Sprossen auf Salmonellen untersucht. Ergebnis: Jede zehnte untersuchte Probe war mit Salmonellen belastet. Bei älteren Menschen kann eine Salmonellose zum Tode führen. Sprossen, so die Warnung der Lebensmittel-Untersucher, sollten deshalb nicht roh verzehrt werden.

"Ja, wir verwenden Sprossen als Salatgarnitur", sagte ein Mitarbeiter aus dem traditionsreichen Restaurant Kartoffelkeller in Lübeck gestern dem Abendblatt. Hier begann vor einigen Tagen die Jagd nach dem unheimlichen Erreger. Und hier liegt vielleicht auch der Schlüssel zum Durchbruch im Kampf gegen die tödliche Krankheit.

Wer die Treppen zum Kartoffelkeller in der Altstadt Lübecks hinabsteigt, atmet fast 800 Jahre Geschichte ein. Seit 34 Jahren leitet Joachim Berger das Restaurant in den Backsteingewölben des historischen Heiligen-Geist-Hospitals. "Damals hat man noch ordentlich gebaut", sagt der 67 Jahre alte Gastronom, während er sich schnaufend auf eine der massiven Holzbänke fallen lässt.

In diesen Tagen macht ihm weniger sein Übergewicht oder die Hitze zu schaffen. Ausgerechnet sein Traditionslokal geriet ins Visier der EHEC-Fahnder. 17 Mitglieder einer Reisegruppe sollen sich bei Berger mit dem Erreger infiziert haben. Eine Frau starb an den Folgen der Infektion.

Vor einer Woche sei Berger vom Gewerbeaufsichtsamt über den EHEC-Verdacht in seinem Restaurant informiert worden. "Für uns war die Woche überhaupt nicht schön", sagt der Gastronom. Er erinnert sich an die "37 Damen von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, die am 13. Mai" bei ihm gegessen haben. Sie hätten à la carte bestellt. Was sie genau aßen, wisse er nicht mehr. Es könnte Labskaus darunter gewesen sein, Kartoffel-Wurst-Pfanne oder Schweinefilet Madagaskar.

Dass ausgerechnet sein Lokal im Fokus der Ermittlungen steht, hält Joachim Berger für ungerecht. "Die Gruppe war mehrere Tage in Lübeck und hat auch woanders gemeinsam gegessen und hätte sich somit nicht unbedingt bei uns anstecken müssen." In seinem Kartoffelkeller gehe es mit rechten Dingen zu, sagt Berger, während er die Küche zeigt. "Hier ist alles sauber." Er habe nichts zu verbergen. Dafür aber jede Menge zu verlieren, nämlich Gäste.

Für die Wissenschaftler ist es dagegen sehr wahrscheinlich, dass die Infektionen aus diesem Restaurant in der Lübecker Altstadt stammen. Untersuchungen hätten ergeben, dass sich dort nicht nur die 17 Frauen aus der Reisegruppe, sondern auch weitere Gäste mit dem EHEC-Erreger angesteckt hätten. "Den Betreiber des Lokals trifft aber überhaupt keine Schuld", sagt Werner Solbach, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Uniklinikum in Lübeck. "Es gibt keine Hinweise, dass es in dem Restaurant unhygienisch zugegangen ist." Allerdings könne die Lieferantenkette den entscheidenden Hinweis geben, wie der Erreger in Umlauf gekommen ist.

Berger hofft nun nur noch, dass die EHEC-Krise bald überstanden sein wird. "Wenn alles vorbei ist, dann trinken wir hier einen. Aber ordentlich. Dann gibt es Gin Tonic für alle."

Gut möglich, dass der Mann schon sehr bald einen Grund zum Feiern hat. Und das hat eine Menge mit dem Auftritt von Gert Lindemann zu tun. Als Niedersachsens Landwirtschaftsminister gestern Abend in Hannover vor die Presse trat, hatte er dem wochenlangen Rätselraten eine Menge harter Fakten entgegenzusetzen. Und viele Menschen in Deutschland hoffen jetzt, dass der CDU-Politiker so etwas wie den Durchbruch im Kampf gegen den EHEC-Erreger verkündet hat. Die Indizienlage jedenfalls scheint in der Tat ziemlich eindeutig.

"So eindeutig", sagte Lindemann, "dass das Ministerium empfiehlt, derzeit auf den Verzehr von Sprossen zu verzichten. Der Ablauf des Geschehens belegt sehr, sehr nachdrücklich, dass die Sprossen eine sehr, sehr eindeutige Quelle des Erregers sein dürften." Bislang stützen sich die Untersuchungsergebnisse lediglich auf die Handelswege. Dennoch sei man sicher, dass man eine "sehr deutliche Spur zu der Infektionsquelle" habe, sagte Lindemann.

Die ersten sechs größeren Ausbrüche des EHEC-Erregers lassen sich nach Angaben des niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz (LAVES) auf Lieferungen des Sprossenherstellers zurückführen.

Nach Angaben des Amts wurden drei Kantinen in Hessen und Nordrhein-Westfalen und drei Gastronomie-Betriebe in Niedersachsen und Schleswig-Holstein über Zwischenhändler von dem Gartenbaubetrieb in Bienenbüttel im Landkreis Uelzen beliefert. Der Betrieb habe seine Sprossen auch über Wochenmärkte und Reformhäuser vertrieben. Hier habe man bei Kunden aber noch keine Erkrankungen nachgewiesen. Labortechnisch ist der Erreger in den Sprossen noch nicht nachgewiesen, wie es hieß. Ein erstes Untersuchungsergebnis erwartet Lindemann für heute.

Die Ware stammt aus einem inzwischen geschlossenen Betrieb in Bienenbüttel im Landkreis Uelzen. Unklar blieb gestern, ob noch EHEC-verseuchte Ware im Handel ist: 18 Sprossenmischungen seien verdächtig. Einige der Sprossensamen stammten aus dem Ausland. "Wir wollen aber keine Herkunftsländer nennen", sagte Lindemann, "um nicht andere Nationen leichtfertig an den Pranger zu stellen."

Gleichzeitig machte Lindemann klar, dass den Betriebsinhaber keine Schuld treffe. "Ein Verschulden ist nicht erkennbar, außerdem ist der Inhaber sehr einsichtig, er hätte sich mithilfe eines Anwalts zum Beispiel auch gegen die Schließung seines Betriebs wehren können, da wir bisher ja nur Indizien und keine eindeutigen Beweise haben." Dazu gehört auch die Tatsache, dass ein Fruchthof in Mölln Sprossen aus dem Betrieb in Bienenbüttel erworben und diese an den Kartoffelkeller in Lübeck geliefert hat.

Ein weiterer Fakt: Vor mehr als zehn Jahren waren Sprossen schon einmal die Ursache für eine schwere EHEC-Epidemie. In Asien erkrankten damals mehr als 10 000 Menschen.