Viele Jugendliche wissen nicht mehr, wo die Sonne aufgeht. Für Pflanzen im Garten ist das mitunter eine Überlebensfrage.

„Nee“, sagte meine Frau Anke, und war baff, „das wissen die nicht?“ Ich hatte ihr gerade aus einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vorgelesen, wonach bei einer Schüler-Umfrage von Pädagogen der Universitäten Köln und Marburg etwa 25 Prozent keine Antwort auf die Frage wussten, wo die Sonne aufgeht. Jeder zehnte der zwölf- bis 15-jährigen Schüler hatte auf Westen oder Süden getippt. Nur 35 Prozent nannten, ganz korrekt, den Osten. 2016 waren die jungen Leute befragt worden. Sechs Jahre zuvor hatten das noch doppelt so viele Jungen und Mädchen gewusst. 20 Prozent der Befragten hatten übrigens den Norden gewählt – und damals wusste die Welt noch nichts von Greta Thunberg. Die 16-jährige Lichtgestalt der Proteste gegen den Klimawandel kommt ja auch aus dem Norden, aus Stockholm.

Ich hätte da einen Vorschlag. Einen Kinderreim, der bei den vielen Reformen im Schulwesen offenbar unter die Räder gekommen ist. Ein Kinderreim, der unsereins in der Volksschule, die heute Grundschule heißt, die Himmelsrichtungen erklärt hatte.

Im Osten geht die Sonne auf,

im Süden nimmt sie ihren Lauf,

im Westen will sie untergeh’n,

im Norden ist sie nie zu seh’n.

Den Reim lernten die Kinder damals sogar gesamtdeutsch, also auch in der DDR. Später, auf dem Gymnasium, lernte ich: „Ex oriente lux“. Das ist Latein und heißt übersetzt: Aus dem Osten kommt das Licht. Drüben hieß es: Aus dem Osten kommt der Frieden. Weswegen manche Leute sogar die Besetzung der Krim durch die Russen für eine Lüge halten. Heute werden die Kinder mit dem Smartphone groß. Es hat einen beleuchteten Bildschirm. Das Licht kommt da nicht aus dem Osten, sondern aus der Akku.

Dem Hobby-Gärtner helfen meist die Etiketten der Gartenindus­trie

Karl-Günther Bart schreibt wöchentlich im Abendblatt „Briefe aus der Mühle“.
Karl-Günther Bart schreibt wöchentlich im Abendblatt „Briefe aus der Mühle“. © Klaus Bodig | Klaus Bodig

Gärtner wissen: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Wie wichtig das ist, sieht man daran, dass wir gleich mehrere Arten davon haben. Volle Sonne ist da, wo sie den ganzen Tag scheint. Etwa auf Wiesen. Oder Rasenflächen. Wo die Sonnenstrahlen nicht hinkommen, ist Schatten. Aber für den Gärtner ist Schatten nicht gleich Schatten. Er unterscheidet etwa zwischen Vollschatten, dessen bekannteste Bewohner die Farne sind. Lichter Schatten ist etwa unter Birken, wo das Laub noch Sonnenlicht durchlässt. Eine Sonderform ist der Standort „absonnig“ etwa an der Nordseite von Gebäuden oder Mauern. Keine Sonne, aber es ist wenigstens hell. Halbschatten ist da, wo die Sonne mindestens vier Stunden am Tag hinkommt. Zum Beispiel an den Rand von Gehölzen. Formen von Klassikern wie Tränendes Herz (Dicentra) gehen da gut, aber auch Bodendecker wie Elfenblume (Epimedium) oder Storchschnabel (Geranium).

In der Regel helfen dem Hobby-Gärtner die Etiketten der Gartenindus­trie. Sie sollen beim Kauf über geeignete Standorte informieren. Aber Vorsicht. Das sind nur grobe Unterscheidungen – etwa in volle Sonne, Voll- oder Halbschatten. Von mindestens vier Stunden Morgensonne haben Pflanzen aber mehr als von mildem Abendlicht in gleicher Dauer. Vier Stunden in der prallen Mittagssonne können für andere Pflanzen schon die Gefahr von Sonnenbrand bedeuten. Weswegen ich mich seit Langem lieber in Gärtnereien beraten lasse oder bei Fachhändlern online bestelle.

Anke und ich haben bei Pflanzungen in unserem kleinen Mühlenpark einiges an Lehrgeld zahlen müssen. Mal haben wir nicht bedacht, dass Sträucher und Bäume immer weiter wachsen, der Schatten darunter entsprechend größer wird. Bodendecker wie die Elfenblume, die sich unterirdische durch Rhizome (Ausläufer) vermehren, wachsen einfach der Sonne entgegen. Ein Tränendes Herz sieht aber ganz traurig aus, wenn sie verzweifelt ihre Triebe der Sonne entgegenrecken will.

Fünf Stunden im sanften Abendlicht sind offenbar zu wenig Sonne

Eine Nachbarin hatte den Strauch Sieben Söhne des Himmels gepflanzt. Und auf die Etikettierung der Gartenindustrie vertraut. „Gedeiht auch im Halbschatten“, hatte es geheißen. Klarer Fall von Pusteblume. Das Gehölz aus dem Fernen Osten wächst bei ihr nur langsam und nicht die versprochenen 30 bis 40 Zentimeter pro Jahr. Vor allem blüht der Strauch, den es auch als Halbstamm gibt, eher verhalten. Trotz bester Versorgung mit feinem Kompost und ausreichend Wasser. Fünf Stunden im sanften Abendlicht sind offenbar zu wenig Sonne. Sie will ihn jetzt im Herbst an einen sonnigen Standort umpflanzen. Was, auch wenn man es gut macht, für das Gehölz immer Stress bedeutet und es in seiner Entwicklung um zwei, drei Jahre zurückwirft.

Sehr schade. Heptacodium miconioides ist ein Musterbeispiel für gelungene Migration. In der Heimat China fast ausgestorben, kam der Strauch bei uns erst Ende des letzten Jahrhunderts in die Baumschulen – und avancierte sehr schnell zu einer Art Modegehölz. Klassische Gärtner loben die prachtvollen Blüten, streng öko-orientierte Gartenfreunde besonders die Blütenfülle von August bis manchmal in den November. Weil da die meisten einheimischen Stauden und Gehölze verblüht und der wertvolle Nektar für Bienen und Schmetterlinge knapp wird.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth

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