Wo komme ich her? Wo möchte ich hin? Was gibt dem Leben einen Sinn? Für „Besinnung“ benötigt es besondere Orte und besondere Zeiten. Ferien eben, meint Andrea Busse

Jesus nimmt frei“ – so heißt ein Kinderbilderbuch von Nicholas Allan. Es beschreibt, wie Jesus spannende Geschichten erzählt und erstaunliche Dinge tut. Tag für Tag arbeitet er hart, bis er eines Tages völlig erschöpft ist vom Gutes-Tun. An diesem Tag klappen die Wunder nicht so gut und die Geschichten auch nicht. Ein Arzt rät Jesus, sich den Tag frei zu nehmen und etwas zu tun, was ihm Spaß macht.

Jesus übt Rad schlagen quer durch die Wüste, jongliert mit seinem Heiligenschein, picknickt genüsslich unter einer Palme und nimmt ein erfrischendes Bad. Abends holt ihn das schlechte Gewissen ein. Geknickt steigt er auf einen Berg, um seinem Vater alles zu erzählen. Der aber zeigt hinunter auf die Erde: „Wo du Rad geschlagen hast, sind in der Wüste Wasserquellen entsprungen. Wo du jongliert und gepicknickt hast, tragen die Bäume die herrlichsten Früchte, und während du geschwommen bist, hatten die Fischer ihren größten Fang.“ Und Jesus sah, dass sein Urlaub gut gewesen war. Das Buch beschreibt in kindlichen Bildern, was Frei-Zeit im besten Sinn sein kann: eine Chance, sich wirklich frei zu machen von dem, was uns sonst bindet – Pflichtbewusstsein, Sachzwänge, Erfolgsdruck. Erwartungen anderer und unsere eigenen Ansprüche an das, was wir leisten sollen oder wollen. Aber gar nicht können, wenn wir nicht ab und zu Urlaub nehmen, denn: „Nur wenn du selbst froh bist, kannst du andere froh machen“, sagt Gott-Vater zu seinem Sohn im Bilderbuch.

Immer mehr arbeiten heißt nicht automatisch, immer besser arbeiten. Im Gegenteil: Wer erschöpft ist, der ist leer, der kann nichts mehr aus sich herausholen. Zeiten zum „Nachfüllen“, zum Auftanken, müssen sein. Das wissen auch Arbeitgeber. Manche von ihnen verbieten darum inzwischen das Weiterleiten von Mails im Urlaub und die ständige Erreichbarkeit per Smartphone bis in die Berghütte oder an den Karibikstrand. Urlaubszeiten werden in der modernen Arbeitswelt nicht aus Nettigkeit eingeräumt, sondern weil sonst die Leistungsfähigkeit sinkt. Ausruhen darf nicht nur sein, es muss sein. Aber es passiert nicht von selbst! In Zeitmanagement-Seminaren wird deshalb empfohlen: „Planen Sie nur die Pausen, der Rest füllt sich von selbst.“

Ähnlich ist es schon in der Bibel. Sie „gebietet“ das Frei-Nehmen sogar. Dass der Feiertag geheiligt werden soll, dass es eine Unterbrechung der Arbeit geben muss, ist eines der Zehn Gebote. Es wird gleich doppelt begründet: Zum einen eben mit der Freiheit. Als Sklaven in Ägypten durften die Israeliten nie frei machen. Wer nonstop arbeiten muss, ist ein Sklave, wer es „freiwillig“ tut, versklavt sich im Endeffekt selbst. Und zum Zweiten: Sogar Gott ruht aus, nachdem er die Welt erschaffen hat. Interessant ist, wie das in der Bibel formuliert wird. Da steht nämlich: „Am 7. Tag vollendete Gott seine Werke.“ Aber nicht, indem er noch etwas schuf, was er an den anderen Tagen nicht geschafft hatte, sondern eben, indem er ruhte. Erst das Ausruhen vollendet das Werk. Wer nach getaner Arbeit nicht ruht, kriegt nur Unvollendetes zustande. Urlaub schenkt Zeit, sich zurückzulehnen, zurückzuschauen auf das, was geschaffen wurde, und es – hoffentlich – gut zu finden.

Urlaub ist also viel mehr als das, was er nicht ist: nicht Arbeit, nicht Alltag. Nicht Gewohntes und Bekanntes. Urlaub ermöglicht nicht nur Freiheit von etwas, sondern auch Freiheit zu etwas. „Tu etwas, was dir Spaß macht!“ – sagt der Arzt zu Jesus.

Wandern oder Schwimmen, Gammeln oder Kulturprogramm, Rückzug in die Einsamkeit oder Gemeinschaft mit anderen – so kann Urlaub aussehen.

Urlaub bietet einen Perspektivwechsel, eröffnet neue Ausblicke und Einblicke, der Horizont weitet sich. Wer fremde Orte besucht, andere Kulturen kennenlernt, sieht sich selbst mit anderen Augen, kann manches mehr wertschätzen, anderes infrage stellen. Dinge wirken einfach anders, wenn man sie mit etwas mehr Abstand betrachtet. Theoretisch ist das klar, aber im Alltag geht diese Erkenntnis meist unter. Erst der Urlaub ermöglicht es, eingefahrene Spurrillen zu verlassen und neue Wege zu suchen. Heißt aber auch: Man muss sich überlegen, in welche Richtung man will und woran man sich orientiert.

Solche Fragen führen über das Alltägliche hinaus. Und manch einer fühlt sich dann angezogen von Orten, die symbolhaft für die Unterbrechung des Alltags stehen: Kirchen zum Beispiel. Es ist auffällig, dass Menschen, die zu Hause nie eine Kirche betreten, dies am Urlaubsort tun. Nicht nur aus kunsthistorischem Interesse, sondern einfach, um die Atmosphäre zu genießen. Kirchen erleichtern den Perspektivwechsel. Wer eine Kirche betritt, merkt sofort: Hier ist es anders. Ungewohnt still. Unwillkürlich wird auch die eigene Stimme leiser, der Atem bewusster, der Schritt langsamer und behutsamer.

Kirchen erzählen von Erfahrungen, die das Gewohnte durchbrechen, eine andere Dimension des Lebens spiegeln, Sehnsucht zur Sprache bringen. Die Gemäuer der Gotteshäuser hallen wider von den Gebeten und Gesängen der Gläubigen, die seit Jahren oder sogar Jahrhunderten hierherkommen, um Zuflucht zu finden und Abstand von ihrer Arbeit. Eine Kirche kann – im besten Fall – Menschen zur Besinnung bringen. Für „Be-Sinnung“, also für Fragen nach dem Sinn, dem Woher und Wohin des Lebens, braucht es besondere Orte und besondere Zeiten. Urlaub eben.

Andrea Busse, 45, ist Referentin der Hauptpastorin und Pröpstin an St. Jacobi. Sie arbeitete als Rundfunkredakteurin im kirchlichen Bereich, bevor sie ihre erste hauptamtliche Pfarrstelle in Kairo antrat.