“Alberto Giacometti. Die Spielfelder“ zeigt den Bildhauer als Pionier

Für drei Monate, so brachte es Kunsthallen-Direktor Prof. Dr. Hubertus Gaßner kurz und bündig auf den Begriff, ist Hamburg Giacometti-Welthauptstadt. Die Hamburger Kunsthalle und das Bucerius Kunst Forum zeigen den prominenten Schweizer mit ambitionierten, voneinander unabhängigen Ausstellungen, internationalen Leihgaben, Hunderten von Zeichnungen, Gemälden, Skulpturen, Modellen und weiteren Dokumenten.

In unbekannte Gefilde stößt dabei die Kunsthalle vor, zeigt sie doch einen bislang wenig beachteten Aspekt im Oeuvre des Alberto Giacometti ( (1901-1966). Die von Kuratorin Dr. Annabelle Görgen-Lammers konzipierte Schau "Spielfelder" verfolgt die Genesis eines neuen, Raum und Zeit umfassenden Skulpturenbegriffs, den Giacometti seit Ende der 1920er-Jahre bis zu seinem Tode verfolgte. Mit ihm nimmt er vorweg, was sich später einmal als "environment" in der bildenden Kunst niederschlägt. Ein Raum, in dem auch das Publikum als aktiver Part gefordert ist.

Während der 1920er-Jahre erprobt Giacometti eine zunehmend horizontale Ausrichtung seiner Skulpturen. Von afrikanischen Masken inspiriert, kippen sie peu à peu in die Waagrechte. Einmal in die Horizontale gebracht, organisieren sie sich zum Handlungsobjekt, das den Betrachter zum aktiven Eingreifen auffordert. Später dann zum Platz, zum Spielfeld als Modell, auf dem Objekte und Figuren in unterschiedlichen Konstellationen auftreten. Konstellationen, die auf existenzielle Grunderfahrungen wie Tod und Eros, auf familiäre Beziehungen anspielen. Ihr Spiel ist begrenzt, dennoch komplex, von Zufällen wie von unzähligen Möglichkeiten gezeichnet.

Eine endgültige Konstellation gab es für Giacometti nie, weder in der Kunst noch im Leben. Ein Freund erinnert sich, dass er Stunden in einem Café mit dem Versuch einer idealen Anordnung von Tasse, Aschenbecher und Zigaretten verbringen konnte.

Die Entwicklung der Spielfelder verläuft über Zeichnungen, Skulpturen, Gemälde bis hin zur Großskulptur. Modellhaft realisiert sie Giacometti in seinem winzigen Pariser Atelier, in das man sich jetzt dank groß projizierter Zeichnungen selbst hineinbegeben kann. Dem Künstler ist es Bühne, auf dem er unterschiedliche Skulpturen-Konstellationen versucht. Den letzten und folgerichtigen Schritt in den Außenraum prophezeit ihm schon früh sein Vater als den Tag, "an dem man große Dinge im Freien machen kann". Doch sein ehrgeiziges New Yorker Projekt, das vor der Chase Manhattan Bank ein reales Spielfeld mit bis zu acht Meter hohen Skulpturen vorsah, wird Anfang der 1960er-Jahre abgebrochen. Produziert wurden dann drei Großfiguren, ein schreitender Mann, eine stehende Frau und ein Kopf, die nun in Hamburg ihr eigenes Spielfeld eröffnen.

Wie ein Geflecht aus Nähe und Ferne gestalten sich in Giacomettis Skulpturen ihre Proportionen. Für ihre Form wie auch ihre Position auf den Spielfeldern kommt eine weitere Erfahrung des Künstlers hinzu, "das Gefühl, dass alle Ereignisse gleichzeitig um mich herum existierten". So wurde die Zeit "horizontal und zirkulär, war zugleich Raum". Ein Kinoerlebnis ließ ihn Bewegung "als Abfolge von Stillständen" verstehen: "Ein Mensch, der redete, war kein bewegter Mensch mehr, es waren Unbewegtheiten, die einander ablösten und die jede von der anderen genau getrennt waren."

Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen münden seine Spielfelder in räumliche Erweiterungen der Zeit. Eine Raum-Zeit-Scheibe, die Giacometti einmal skizziert hatte, wurde nun in der Ausstellung realisiert: ein Kreis mit stelenförmigen Zeit-Tafeln am Rand, der die Besucher zum Passieren einlädt. Cineastische Assoziationen auch hier: die Raum-Zeit-Scheibe erinnert an ein mannshohes Zoetrop, jene Wundertrommel, die einst unbewegte in bewegte Bilder verwandelte. Die Ausstellung wird ermöglicht durch die Freunde der Kunsthalle, die Nordmetall Stiftung und die Schweizer Kulturstiftung prohelvetia.

Giacometti - Zwei Ausstellungen für Hamburg: "Giacometti. Die Spielfelder" bis 19.5., Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart, 1. Etage, Glockengießerwall, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-21.00, das Bucerius Kunst Forum zeigt zeitgleich bis zum 20.5. die Ausstellung: "Alberto Giacometti. Begegnungen"