Der Künstlerfreund Alberto Giacometti aus neuer Sicht in “Begegnungen“ im Bucerius Kunst Forum

Es gibt viele Wege, sich Alberto Giacometti (1901-1966) zu nähern. Der in der Schweiz geborene Bildhauer, der zu den bedeutendsten der Moderne zählt, prägte mit seinen extrem aufgeschossenen Figuren den Neuanfang in der Kunst nach 1945. Vielfach sind die Modelle seiner Skulpturen unbekannt, einige allerdings haben selbst Berühmtheit erlangt und standen zum Künstler in einer besonderen Verbindung.

Mit der Fokussierung auf die Porträts ist "Albert Giacometti. Begegnungen" im Bucerius Kunst Forum die ideale Ergänzung zu der parallelen Schau in der Kunsthalle. Begegnung meint bei Giacometti immer zweierlei: Einmal das Aufeinandertreffen von Betrachter und Werk, gleichzeitig in einem existenzialistischen Sinne die Konfrontation mit dem eigenen Menschsein.

Die Ausstellung beginnt mit einem fotografischen Blick in sein winziges, einfaches Atelier in Paris, der Keimzelle seiner Kunst. Frühe Selbstbildnisse stehen neben ersten Zeichnungen, die älteste datiert von 1918 und zeigt in markanten Strichen seinen Freund Lucas Lichtenhan. Schon früh zeigt sich Giacomettis Obsession für Gesichter. Mehrfach hielt er seine Familie in Porträts fest: seine Mutter, seine Brüder Bruno und vor allem der häufig porträtierte Diego, seine Schwester Ottilia und seine Frau Annette.

Giacometti traf sich regelmäßig mit Künstlern und Literaten, wie Jean Genet und Samuel Beckett in den Pariser Cafés zu ausführlichen Gesprächen. André Breton wurde noch in der surrealistischen Phase zu einer Vaterfigur. Später sollte sich Giacometti vom Surrealismus deutlich distanzieren. Stets breitete Giacometti Bücher, Briefe und Zeitungen aus, auf denen er sein Gegenüber im Dialog häufig direkt in Bleistift- oder Kugelschreiberzeichnungen erfasste.

Er skizzierte Rimbaud und Balzac, Dichter des 19. Jahrhunderts, die wichtige Bezugspunkte für die zeitgenössische Literatur lieferten. Mehrfach bis zu seinem Tode zeichnete er den Künstler Henri Matisse, außerdem den Komponisten Igor Strawinsky. Er porträtierte Louis Aragon, der 1949 eine Ausstellung mit dem Titel "Art et Résistance" organisierte, an der auch Picasso teilnahm. Giacometti zeigte ein Porträt des Widerstandskämpfers Henri Rol-Tanguy.

1939 macht Giacometti im Café de Flore die wegweisende Bekanntschaft des französischen Philosophen Jean-Paul Sartre und seiner Lebensgefährtin Simone de Beauvoir. Von Sartre fertigte er mehrere Zeichnungen an. Beauvoir übertrug er in eine nur knapp nussgroße Büste. Giacometti, Sartre und de Beauvoir trafen sich schließlich wöchentlich zum Lunch. Der Existenzphilosoph fand in dem Bildhauer seine künstlerische Entsprechung. Er verfasste für Giacomettis Einzelausstellung in der New Yorker Pierre Matisse Gallery im Jahr 1948 das Katalogvorwort "Die Suche nach dem Absoluten". Sie verhalf Giacometti zum Durchbruch in den USA.

Giacomettis Wirklichkeitsauffassung ähnelt den Theorien über die körperliche Wahrnehmung in der Kunst, wie sie der französische Philosoph Maurice Merleau-Ponty, den Giacometti ebenfalls kannte, in seiner Phänomenologie formulierte. "Ich möchte nicht gestalten, was ich weiß, sondern was ich sehe", so Giacometti.

Hier erscheint der existenzialistische Gedanke, dass sich das eigene Sein bereits in dem Moment verändert, in dem ein anderer Mensch einen Raum betritt.

Diese Erfahrung durchlebt auch der Besucher der Ausstellung in der Begegnung mit den Kunstwerken. In den eindrucksvollen Gesichtern und erhabenen knieenden Figuren wird darüber hinaus die besondere Zeit des Aufbruchs spürbar.

Giacometti - Zwei Ausstellungen für Hamburg: "Alberto Giacometti. Begegnungen" bis 20.5., Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, täglich 11.00-19.00, Do 11.00-21.00, die Hamburger Kunsthalle zeigt zeitgleich bis zum 19.5. die Ausstellung "Giacometti. Die "Spielfelder"