Vor über 150 Jahren schrieb der Pädagoge Friedrich Fröbel: ,Schon das Wort Ball in unserer in und aus sich deutsamen Sprache ist ausdrucks- und bedeutungsvoll, anzeigend, daß der B-ALL gleichsam ein Bild vom All ist." Unsere Sonne ist ein großer Ball, die Erde eine Kugel und Gott der ALLmächtige. Der Dichter Theodor Däubler: "Alles klingt zu eines Balles / Urversuchtem Rundungstraum . . ." 1907 hat R. M. Rilke im "Stundenbuch" seine begeisterte Beschwörung Gottes in folgendes Bild gefaßt: "Wie einen Ball / hätt' ich dich in alle wogenden Freuden / hineingeschleudert, daß einer dich finge / und deinem Fall / mit erhobenen Händen entgegenspringe / du Ding der Dinge."

Diego Maradona muß wohl Rilke gelesen und ihn im WM-Spiel 1986 gegen England wörtlich genommen haben. "Die Hand Gottes" wurde von Stund an zum Fußballgott, der sich dann aber sehr schnell als ein gefallener Engel wiederfand.

In unserer so aufgeklärten Zeit erhält der Fußball religiösen Status: Trainer-Ikonen, Ball-Göttinnen, Fußball-Legenden, -Tempel und -Wunder sprießen wie Pilze aus dem Boden, liturgische Gesänge dröhnen durch die Stadien, Bestatter bieten Fußballurnen an.

Die ein wenig im "Abseits" stehenden Kirchen wollen den Ball auch nicht verpassen und rennen selbigem hinterher. Gotteshäuser sollen während der WM zur Partyzone mit himmlischem Wir-Gefühl werden. Die schönste Nebensache der Welt wird zur "Göttlichen Komödie".

Und Gott selbst? Wird er die vielen in den Nachthimmel geschossenen Bälle schmunzelnd auffangen - oder mit Ringelnatz sagen: "Ich warne euch, ihr Brüder Jahns, / vor dem Gebrauch des Fußballwahns", oder wird er ob so viel Schwachsinn kräftig vom Leder ziehen? Letzeres wünsche ich mir.

Martin Lösche ist Pastor in Rente und begeisterter Fußballer. Er lebt in Leipzig.