Anselm Grün: Mönch, Manager, Buchautor. So heißt das jüngst erschienene Buch von Anselm Grün. Selbst führt er ein erfülltes Leben, verankert in der modernen Welt. Was ist seine Botschaft?

Er ist der Popstar unter den Klostermännern. Das hört er nicht so gern. Aber wenn Popstar bedeutet, daß ein Mensch geistliches Wissen für ein Millionenpublikum aufbereitet, dann trifft das auf Anselm Grün zu.

Im März kamen 2000 Hamburger in den Michel, um ihn zu hören. Sie sahen einen schmalen Benediktiner in schwarzer Kutte, mit langem weißen Haar und Bart, der mit leiser Stimme von inneren Kraftquellen erzählte. Am Schluß bat er die Zuhörer, es selbst zu versuchen und sich auf ihre innere Kraft zu konzentrieren. 2000 Menschen standen auf, kreuzten die Arme vor der Brust und schwiegen zwei Minuten - und man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

Anselm Grün entspricht äußerlich dem Klischee vom weltabgeschiedenen, allen Moden fernen Mönch. Aber das täuscht. Zweimal im Jahr zum Beispiel führt er für Manager von DaimlerChrysler ein Seminar durch, bei dem er über Knowhow, inneres Gleichgewicht und ethische Grundsätze spricht. Und er weiß, wovon er redet. Zu den Geheimnissen seines Erfolgs gehört seine Offenheit für die Probleme des modernen Menschen - etwa in der Arbeitswelt.

Denn er selbst ist als Cellerar (ursprüngl.: Kellermeister) der Wirtschafts- und Finanzvorstand seines Klosters Münsterschwarzach in Franken. Im Konvent leben 80 Mönche, das Kloster hat 20 Betriebe mit insgesamt 240 Angestellten.

Darüber hinaus hält er bis zu 25 Vorträge im Monat, seine Bücher erscheinen nicht im klostereigenen Verlag Vier Türme, sondern wegen der höheren Auflagen bei Herder. Die Honorare fließen komplett in die Abtei: "Ich verdiene daran nichts."

ABENDBLATT: In Ihrem neuen Buch geht es um Kraftquellen, die jeder in sich hat. Was sind das für Quellen, und wie finden wir sie?

ANSELM GRÜN: Das sind zum einen Kraftquellen, die wir zum Beispiel von unseren Eltern mitbekommen haben wie Urvertrauen und die Fähigkeit, mit Konflikten fertig zu werden, Lust an der Arbeit, Lust zu gestalten. Eine Kraftquelle kann die Familie selbst sein oder das persönliche Umfeld. Andere gehen in die Natur und kommen dort mit sich selbst in Berührung. Und es gibt spirituelle Quellen. Sie können in der Stille erfahrbar werden oder in der Musik. Die Wichtigste ist der Heilige Geist, eine Quelle, die durch uns hindurchfließt und unerschöpflich ist.

ABENDBLATT: Hat der Heilige Geist etwas mit Vertrauen zu tun?

GRÜN: Es ist eine göttliche Kraft, die uns geschenkt worden ist. Sie hat mit Vertrauen, mit Energie, Liebe, Lebendigkeit zu tun. Manche würden sagen, mit spirituellem Empfinden. In Berührung mit dieser Quelle kommt man durch Meditation.

ABENDBLATT: Einen Grund für die Erschöpfung vieler Menschen sehen Sie in "falschen Lebensmustern". Was meinen Sie damit?

GRÜN: Ein falsches Muster kann sein, daß man jeden Konflikt zu vermeiden sucht. Daß man denkt: Hoffentlich gibt es keinen Streit. Dann raubt mir jeder Konflikt, den ich dann doch erlebe, Energie. Ich werde immer ängstlich darauf bedacht sein, daß alles in Harmonie ist, und mich damit überfordern. Aber der häufigste Grund für Erschöpfung ist, daß man sich beweisen will. Daß man sich ständig unter Druck setzt, vor andern besonders gut dazustehen, keinen Fehler zu machen. Das schluckt viel Energie.

ABENDBLATT: Konkurrenzdruck und Überforderung sind heute doch schon "normale" Phänomene in der Arbeitswelt, wo ständig rationalisiert und Arbeit verdichtet wird.

GRÜN: Der Druck in der Firma ist da. Aber ich darf ihn nicht verinnerlichen und darf mich davon nicht erpressen lassen. Denn dann komme ich überhaupt nicht mehr zur Ruhe, fühle mich ständig überfordert und finde keine neue Lebendigkeit. Wenn ich den Druck aber als sportliche Herausforderung sehe und zugleich weiß, daß die Arbeit nur ein Teil und nicht alles im Leben ist, kann ich auch gelassener damit umgehen.

ABENDBLATT: "Wer mit sich im Reinen ist, kann sich auf die Welt einlassen, wie sie ist", schreiben Sie. Aber was machen wir mit unserem natürlichen Anteil an Aggressivität?

GRÜN: Aggression ist die Kraft, die das Verhältnis von Nähe und Distanz regelt. Sie ist mir eine gute Hilfe, mich nicht angreifen zu lassen, sondern zu sagen: Das ist dein Problem, das lasse ich bei dir, ich halte es mir vom Leib; da schützt mich die Aggression erst mal. Ich muß ja nicht gleich losschreien. Wenn ich schreie, hat der andere Macht über mich.

ABENDBLATT: Sie leiten auch Seminare für Pfarrer und Kirchenleute. Verlieren die auch mal ihre Kraftquellen?

GRÜN: Natürlich. So besteht die Gefahr, daß sie sich für die Pfarrei verausgaben und unbewußt erwarten, dafür genau so viel Zuwendung und Bestätigung zurückzubekommen. Das ist illusorisch.

ABENDBLATT: Sie sind Cellerar des Klosters und damit verantwortlich für Finanz- und Personalfragen, schreiben außerdem Bücher, halten Vorträge, machen Jugendarbeit, leiten Seminare. Woher schöpfen Sie Ihre Kraft?

GRÜN: Die ersten drei Stunden am Tag verbringe ich im Schweigen. Das ist für mich eine wichtige Kraftquelle. An den Gebetszeiten mittags und zur Vesper nehme ich teil, oder wenn ich die Vesper nicht schaffe, dann an der Komplet. Ich versuche auch, beim Autofahren zu schweigen und Zeit fürs Gebet zu finden.

ABENDBLATT: Beim Autofahren?

GRÜN: Ja, das geht auch. Wenn ich erschöpft bin, höre ich auch Musik. Am liebsten Bach und Mozart.