Zwischen Kunst und Politik: Hans Pfitzners “Palestrina“

In der Kunst werden politische Fehltritte selten verziehen. Wie viele Literaten, Maler und Musiker sind im Laufe der Jahrhunderte buchstäblich durch den Rost gefallen, weil ihr Werk einer Geisteshaltung entsprang, die nach einer Zeitenwende nicht länger tragbar erschien. Die Geschichte richtet hier erbarmungslos und ohne allzu viel Sinn für Differenzierungen - und in den meisten Fällen tut sie sogar recht daran.

Szenenwechsel: Ortstermin. Am 2. Juli 2010 verkündet der "Amtliche Anzeiger" der Freien und Hansestadt Hamburg, dass die Pfitznerstraße im Stadtteil Bahrenfeld fortan Friedensallee heißen solle. Eine Begründung von offizieller Seite gibt es nicht, doch der dahinterstehende Vorwurf lautet: enge persönliche Verbindungen zum Hitler-Regime, überzeugter Nationalist und unverbesserlicher Antisemit, sogar noch über das Ende des Dritten Reiches hinaus. Und das alles ist - leider - wahr, es gibt daran nichts zu deuteln oder zu rechtfertigen.

Dennoch darf man es sich nicht zu einfach machen mit Hans Pfitzner. Kein Geringerer als Gustav Mahler lobte etwa Pfitzners Zweites Streichquartett als Meisterwerk und setzte sich in Wien auch für den Opernkomponisten ein. Thomas Mann würdigte 1917 dessen Oper "Palestrina" und namentlich das von Pfitzner selbst verfasste Libretto mit einem begeisterten Essay. Und Bruno Walter, der Dirigent der Uraufführung, den die Nazis gleich mehrfach aus allen Ämtern ins Exil vertrieben, äußerte noch 1947: "Ich persönlich zähle die Aufführung des ,Palestrina', nach meiner Meinung eines der gewaltigsten Bühnenwerke unserer Zeit, zu den großen Ereignissen meines Lebens."

Die Hamburgische Staatsoper stellt den "Palestrina", Pfitzners bedeutendstes Werk, nun erneut zur Diskussion. Ab 5. Juni ist diese "Musikalische Legende in drei Akten" in einer Inszenierung von Christian Stückl, dem Leiter der Oberammergauer Passionsspiele, zu sehen, die in Koproduktion mit der Bayerischen Staatsoper entstand. Die musikalische Leitung hat Intendantin und Generalmusikdirektorin Simone Young, die schon die Münchner Premiere im Januar 2009 dirigiert hat.

Im "Palestrina", der zu den großen Künstleropern in der Wagner-Nachfolge gehört, geht es genau um jenes heikle Verhältnis von Kunst und Macht. Giovanni Pierluigi da Palestrina, einer der historisch verbürgten Ahnherren der frühen abendländischen Musik, soll eine Messe komponieren, um die Kirchenmusik vor dem Verbot durch das Tridentiner Konzil zu bewahren. Palestrina indes lehnt ab, selbst angesichts der Bedrohung durch die Inquisition. Dann aber hat er eine Vision: Die Meister der Vergangenheit bedrängen ihn, mit der rettenden Komposition sein Lebenswerk zu krönen. In einer der eindrucksvollsten Szenen der Operngeschichte erscheint ihm ein Chor von Engeln, die dem Komponisten das Werk buchstäblich in die Feder diktieren. Nicht durch weltlichen oder politischen Auftrag, sondern durch höhere Inspiration wird Palestrina mit der "Missae Papae Marcelli" schließlich zum "Retter der Musik". Die Kunst aber hat sich nicht durch die Politik vereinnahmen lassen - so die Botschaft, die Pfitzner der Partitur mit einem Schopenhauer-Zitat voranstellte: "Neben der Weltgeschichte geht schuldlos und nicht blutbefleckt die Geschichte der Philosophie, der Wissenschaft und der Künste."

Palestrina 5.6., 17 Uhr (Premiere), Staatsoper. Weitere Vorstellungen: 8., 13. und 16.6., jeweils 18 Uhr. Karten unter T. 35 68 68