Genuss und zugleich Lehrstück für die Ohren: Alan Gilberts und Leonidas Kavakos' Hamburger Gastspiel.

Zwei zentrale Gattungen der Musikgeschichte stehen im Mittelpunkt der beiden Novemberkonzerte des NDR Sinfonieorchesters in der Laeiszhalle: das Konzert und die Sinfonie. Auf besonders originelle Weise lernen wir dabei die Konzertform in ihrer barocken Ausprägung als Doppelkonzert kennen: Alan Gilbert, Erster Gastdirigent des Orchesters, wird höchstselbst zur Violine greifen, um gemeinsam mit dem international gefeierten Geiger Leonidas Kavakos Bachs d-Moll-Konzert BWV 1043 zu Gehör zu bringen. Gilbert, der ab dieser Saison Chefdirigent des New York Philharmonic Orchestra ist, war nämlich vor seinem Wechsel ans Dirigentenpult selbst als professioneller Geiger tätig. Sein Gespür für Zusammenspiel wird ihm bei Bachs Wunderwerk fraglos zugute kommen; denn hier geht es nicht, wie oft in den Konzerten der Klassik und Romantik, um einen Wettstreit mit dem Orchester, sondern um ein Miteinander, bei dem sich die Solisten buchstäblich die Melodien zuspielen - besonders schön in dem kanonischen Stimmenreigen des weltentrückten Mittelsatzes.

Rund 200 Jahre nach Bach beschäftigte sich Igor Strawinsky mit der altehrwürdigen Gattung des Violinkonzerts. Sein Anknüpfungspunkt waren weniger die Gipfelwerke von Beethoven und Brahms als vielmehr das spielerisch-konzise Formverständnis des Barock. Nicht zufällig tragen die Sätze bei Strawinsky Überschriften wie "Toccata", "Aria" und "Capriccio", und auch stilistisch zählt das "Concerto in D" zu den wichtigsten Werken seiner neo-barocken Periode.

Das zweite Werkpaar des Programms bilden Haydns Sinfonie "Maria Theresia" und Alban Bergs drei Orchesterstücke. Bergs Opus 6 aus den Jahren 1914/15 ist, obschon nicht als Sinfonie betitelt, als Weiterentwicklung der klassischen Form gedeutet worden. In ihrem Idealzustand tritt uns diese in Haydns 48. Sinfonie entgegen, die wahrscheinlich 1773 bei einem Besuch der Kaiserin am Hof des Fürsten Esterházy gespielt wurde. Anderthalb Jahrhunderte später sah sich Berg nicht nur mit dieser klassischen Tradition, sondern auch mit dem großen Erbe der Romantik und insbesondere der Sinfonik Mahlers konfrontiert. Seine Antwort war eine extrem verdichtete, überdies autobiografisch grundierte Tonsprache, in der sich Tradition und Fortschritt verschlingen. Theodor Adorno sagte dazu: "Das muss klingen, wie wenn man Schönbergs Orchesterstücke und Mahlers Neunte zugleich spielt." Nicht ohne Stolz berichtete er über Bergs Reaktion: "Nie werde ich das Bild der Freude vergessen, die das für jedes Kulturohr bedenkliche Kompliment auf seinem Gesicht entzündete."

Abo-Konzert 15.11., 11 Uhr, 16.11., 20 Uhr