Milwaukee. Neue Sportster sind da: Zur Forty-Eight von Harley Davidson und der Jubiläumsausgabe gesellt sich jetzt noch eine Hochlenker-Version.

Seit jeher gilt Harley Davidson als Weltmeister in der Kunst des Erschaffens von Modellvariationen. Dass insbe­sondere die Ergonomie für viele ­Fahrerinnen und Fahrer ein wichtiges Entscheidungskriterium darstellt, hat niemand früher begriffen als der äl­teste, ununterbrochen produzierende Motorradhersteller der Welt. Vor- oder ­zurückverlegte Fuß­rasten, höher oder tiefer montierte Lenker, besonders weit abgesenkte ­Sitze wie auch das Format der vorderen Räder und Reifen – diese Details bewirken große Unterschiede.

Und so haben sich die Modellplaner in Milwaukee nun entschlossen, der mit einem niedrigen Lenker daherkommenden, extrem erfolgreichen Forty-Eight eine Special zur Seite zu stellen, deren einzige Spezialität ein deutlich höherer Lenker darstellt. Und siehe da: Schon stellt sich ein besonders lässiges, allerdings auch etwas inaktiveres Fahrgefühl ein.

In Schräglage ist viel Konzentration nötig

Preislich liegen Forty-Eight und Special auf exakt demselben Niveau: 12.195 Euro will der Händler sehen, bevor er Papiere und Transponder übergibt – einen herkömmlichen Zündschlüssel gibt es bei den in den USA gefertigten Harley Davidsons schon einige Zeit nicht mehr. Damit sind die 48er nach der neuen, chromlosen und insgesamt sparsamer wirkenden Iron 1200 die preisgünstigste Möglichkeit, eine Sportster mit 1200er V2 zu fahren; die Basismotorisierung mit dem 883-Kubikzentimeter-V2 wird nur noch in zweien der mittlerweile acht Sportster-Modelle ­angeboten.

Spontan nimmt der auf einer Konstruktion von 1952 beruhende V2 seine Arbeit auf, geringer Druck mit dem linken Fuß genügt für das, wie ­gewünscht, gut hörbare Einlegen des ersten Ganges. Zwar waren Harley-Triebwerke nie für besonders sanften Motorlauf bekannt, doch erscheint die aktuelle Version des 1200er-Motors ­ungewohnt unruhig. Kenner der Szene berichten, dass man erst kürzlich die Schwungmasse im Motor-Inneren ­verringert habe, um die Drehfreudigkeit des Triebwerks zu steigern.

Der Tallboy-Lenker ist lediglich 3,5 Zentimeter breiter als derjenige der normalen Forty-Eight.
Der Tallboy-Lenker ist lediglich 3,5 Zentimeter breiter als derjenige der normalen Forty-Eight. © Werk | --

Die Auswirkungen dieser Maß­nahme stoßen auf ganz unterschied­liches Echo: Wir versuchten jedenfalls, den Bereich um 3000 Touren nach ­Möglichkeit für längere Zeit eher zu ­vermeiden, denn da sind die Vibra­tionen in Lenker, Fußrasten und Sitz beträchtlich. Die Komfortzone liegt ein Stückchen tiefer, bei etwa 2500 Kurbelwellen-Umdrehungen, im fünften Gang entspricht das knapp 100 km/h und ­damit einem höchst angenehmen Landstraßentempo.

Für große Touren ist die Special nicht konzipiert

Der sogenannte Tallboy-Lenker, glänzend schwarz lackiert, ist 18,4 Zentimeter hoch und führt, zusammen mit den bei der Forty-Eight choppertypisch vorne montierten Fußrasten, zu einer lässigen, unangestrengten Sitzposition. Trotz des 130 Millimeter breiten, nur 16 Zoll großen Vorderreifens erfolgt das Einlenken in Kurven ohne nennenswerten Kraftaufwand, dafür ist in Schräg­lage viel Konzentration erforderlich, will man nicht ständig kratzend unterwegs sein, weil die Schräglagenfreiheit mit 27 Grad doch recht begrenzt ist.

Die Federung ist gut abgestimmt und tut das Möglichste, was angesichts von ­lediglich vier Zentimetern am Heck drin ist. Keinerlei Mühe mit der immerhin 256 Kilo schweren Maschine hat die Bremsanlage mit je einer Scheibe vorne und hinten; auch das ABS arbeitet auf zufriedenstellendem Niveau. Zwischen 30 und 45 Minuten liegen die durchschnittlichen Fahrzeiten der Sportster-Besitzer, hat die Marktforschung der Amerikaner herausgefunden.

Wer die Forty-Eight Special einen Tag zur Verfügung hat, stellt fest, dass dieser Wert sich fast automatisch ­ergibt: Für große Touren ist diese ­Sportster mit ihrem minikleinen ­7,9-Liter-Tank nun mal nicht ­konzipiert, sondern eher fürs Hop-on und Hop-off, für das Erreichen von ­Zielen in einem überschaubaren ­Umkreis.

Das Durchschlängeln im dichten Verkehr ist dank nur 87 Zentimetern Fahrzeugbreite recht leicht möglich, ist der Tallboy-Lenker doch lediglich 3,5 Zentimeter breiter als derjenige der normalen Forty-Eight. Die Reser­vewarnleuchte blinkt nach knapp 100 Kilometern auf.

Zweiten Sitz und Fußrasten gibt es nur beim Händler

Gut so, dass Harley Davidson seiner mit dem fetten Vorderrad und der mächtigen Gabel mit den drei geschmiedeten Gabelbrücken so attraktiven Forty-Eight nun die Hochlenker-Version Special zur Seite stellt: Nicht wenigen wird sie kommoder und noch lässiger erscheinen. Wer dieses spezielle ­Fahrgefühl nicht alleine genießen will, muss freilich ­zuzahlen: Den zweiten Sitz und zusätzliche Fußrasten für einen Sozius gibt es nur beim Händler.

„Das betrifft aber nur eine kleine Minderheit“, sagen die Amis. Denn wer gerne zu zweit auf einer Harley unterwegs ist, greift klugerweise meist zu einem Modell mit Big Twin. Da ist die Auswahl dann noch größer – und die Qual der Wahl ebenfalls.