Berlin. Schulkinder haben 75 Ferientage, Eltern nicht. Wie Feriencamps Abhilfe leisten – und versteckte Talente der Kinder zutage fördern.

Auf der Sprachreise nach London hat die 15-jährige Schülerin das erste Mal Spaß an Englisch. Und sie ist erstaunt, wie leicht ihr die Sprache plötzlich von der Hand geht. Oder der schüchterne Junge, der in einem Thüringer Feriencamp aus sich herauskam. „Beim Bauen der Hütten im Wald war er nicht wiederzuerkennen. Sein Team hat seinetwegen gewonnen“, berichtet Björn Viergutz. Das sind Beispiele, die den 32-Jährigen beeindruckt haben.

Viergutz betreibt Juvigo, eine Plattform für Feriencamps, Jugendreisen und Sprachreisen. Solche Camps können eine Ergänzung zum Familienurlaub sein. Viergutz wolle niemanden die Zeit mit der Familie wegnehmen, aber in Deutschland haben Schulkinder 75 Ferientage im Jahr. „So viel Urlaub hat kein Elternteil. Es gibt also genug Zeit für alle Urlaubsformen“, sagt der Unternehmer.

Camps- oder Jugendreisen: Wie sinnvoll sind sie?

„Meer, Strand, Wald, Seen – wo sehen und erleben Kinder aus der Großstadt das heute noch im Alltag?“, benennt Viergutz einen Mangel, dem ein Feriencamp Abhilfe leisten könne. Ein Vorteil gegenüber dem Familienurlaub sei, dass Kinder Zeit mit Gleichaltrigen verbringen können.

„Kinder sind schon im Alltag an ihre Eltern gebunden. Urlaub mit Kindern, die ähnliche Interessen haben, kann erfrischend sein“, berichtet der 32-Jährige, der als Kind auch selbst an Feriencamps beteiligt war – erst als Teilnehmer und dann als Betreuer.

Feriencamps fördern die Autonomieentwicklung

Aus eigener Erfahrung wisse Viergutz: In Feriencamps können lange Freundschaften entstehen und großes Selbstvertrauen. „Man wird sich seiner versteckten Talente bewusst“, fasst Viergutz seine Camp-Erfahrungen zusammen.

„Längere Zeit ohne die eigenen Eltern und andere vertraute Bezugspersonen auskommen zu müssen, stärkt die Autonomieentwicklung von Kindern“, erklärt Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Inés Brock-Harder. Die Vorsitzende des Bundesverbandes für Kinder- und Jugendlichentherapie schränkt ihre Aussage aber ein: „Kleinere Kinder bis ungefähr sechs Jahren leiden eher an starkem Heimweh, als dass die Camps ihnen was bringen.“ Denn größten Entwicklungsgewinn hätten Kinder ab zehn Jahren, obwohl das natürlich auch individuell von Kind zu Kind verschieden sei.

Denn ab dem Alter würden sich Kinder in Peer-Groups organisieren. Sie besuchen Freundinnen und Freunde selbstständig und gehen allein zur Schule. „Feriencamps verbinden die Betreuung mit einem Abenteuer, das ist natürlich spannender für die Kinder als die Ferien nur im Hort zu verbringen“, sagt Brock-Harder.

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Portrait of laughing girl on the beach with her friend model released Symbolfoto PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY MJF02193 © imago images / Westend61 | imago premium

Heimweh im Feriencamp: So gehen Eltern damit um

Nicht vorbehaltlos zu empfehlen sind Feriencamps für sozial-ängstliche Kinder. „Wenn Kinder vor Heimweh die Nächte durch weinen, dann muss es die Möglichkeit geben, dass sie aus dem Camp abgeholt werden“, so die Psychotherapeutin.

Um die Qualität der Angebote zu sichern, besichtigt das Team von Juvigo die Camps vor Ort und führt Befragungen unter den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen im Nachhinein durch. „Wir sind in engem Kontakt mit den Camp-Anbietern, um die Qualität der Programme zu steigern“, sagt Viergutz.

Feriencamps: Alternativen für Familien mit wenig Geld

Bei ideologischen Angeboten zieht die Feriencamp-Plattform eine Grenze. „Wir wollen Kindern ein unbeschwertes Ferienerlebnis bieten – unideologisch, frei von politischen oder konfessionellen Einflüssen“, erklärt Björn Viergutz.

„Die Teilnahme an Feriencamps ist immer eine Frage des Geldbeutels“, erklärt Inés Brock-Harder. Für Kinder, die kein finanzkräftiges Elternhaus haben, gebe es durch Familienbildungsstätten und öffentliche Einrichtungen organisierte Angebote, die wenig kosten oder kostenlos sind.