Berlin. Techkonzerne investieren Milliarden in virtuelle Welten. Dazu gehören auch digitale Doppelgänger, die immer realistischer aussehen.

Das Metaverse oder deutsch Metaversum ist die große Vision einer virtuellen Welt. Unternehmen wie der Facebook-Konzern Meta investieren Milliarden in das perfekte digitale Universum, in dem sich die Menschen mithilfe sogenannter Avatare bewegen und begegnen sollen. Diese digitalen Abbilder echter Personen sind Gegenstand intensiver Forschung.

Sowohl in den großen Tech-Konzernen als auch in öffentlichen Forschungseinrichtungen wird daran getüftelt, wie die digitalen Abbilder erzeugt und unsere eigenen Körperbewegungen, unsere Mimik und Gestik, auf sie übertragen werden können.

Das Versprechen lautet: Schon bald wird jeder Nutzer und jede Nutzerin mit einfachsten Mitteln einen realistischen Avatar von sich selbst anfertigen und sich damit auf natürliche Weise in der sogenannten Virtual Reality (VR) bewegen können.

„Schon heute gibt es Schätzungen zufolge weltweit einige Hunderttausend Menschen, die ihre Freizeit regelmäßig als Avatar in der virtuellen Welt verbringen“, sagt Soziologe Jonathan Harth von der Universität Witten/Herdecke. Digitalisierung und insbesondere Virtual Reality zählen zu seinen Forschungsschwerpunkten. Lesen Sie auch:CES 2023: Das sind die wichtigsten Techniktrends des Jahres

Avatar: Das Verhalten des Gegenübers sollte stimmig sein

Harth zufolge gibt es einige Grundvoraussetzungen, damit eine virtuelle Welt vom Nutzer ernst genommen wird. „Wenn man das Headset aufsetzt, soll man das Gefühl haben, sich an einem anderen Ort zu befinden“, sagt der Forscher. Dazu müssten etwa die Beleuchtung und andere physikalische Aspekte stimmen. Eine Tasse, die auf einem Tisch steht, sollte sich etwa mit den Händen bewegen lassen. „Wenn diese Art der Plausibilität fehlt, fühle ich mich mit dieser Welt auch nicht so verbunden“, so Harth.

Noch wichtiger, gerade für soziale Anwendungen, ist das Verhalten des Gegenübers. Es muss plausibel und stimmig sein, man sollte die Mimik erkennen können, und auch beiläufige Gesten wie Kopfkratzen sollten reibungslos funktionieren. „Avatare bekommen oft auch zufälliges Blinzeln einprogrammiert, damit sie lebendiger wirken“, sagt Harth. Und da die echten Bewegungen des Kopfes in der Regel vom aufgesetzten Headset registriert werden, bewegt sich der Avatar ohnehin immer ein bisschen.

Die genaue Messung der Ausrichtung des Kopfes ist essenziell, damit der Nutzer über die Bildschirme des Headsets auch immer die richtige Perspektive der virtuellen Welt angezeigt bekommt. Gleichzeitig hält man dabei meist je einen Controller in jeder Hand, der ebenfalls mit Sensoren ausgestattet ist. So kann der Algorithmus, der den Avatar steuert, die Bewegung der Arme in die virtuelle Welt übertragen. Auch interessant: So revolutioniert Virtual Reality Ausbildung und Studium

Smartphones können den Aufwand senken

„Im Gegensatz zu einem Onlinemeeting kann man sich deshalb bei einem Treffen in der virtuellen Welt einander auch körperlich zuwenden“, sagt Harth. Lehnt sich zum Beispiel ein Teilnehmer zurück, tut das womöglich auch der andere. Dieses synchronisierte Verhalten kann Verbundenheit herstellen. „So kann sich ein VR-Treffen mit Freunden wie eine gemeinsame Aktivität anfühlen“, sagt Harth.

Reisen in virtuelle Welten: Das Treffen mit anderen an fremden Orten soll in Zukunft zur Normalität gehören. Davon träumt nicht nur Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.
Reisen in virtuelle Welten: Das Treffen mit anderen an fremden Orten soll in Zukunft zur Normalität gehören. Davon träumt nicht nur Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. © dpa-tmn | Silas Stein

Auch Andreas Geiger will dreidimensionale Avatare erzeugen, die den Körpern der realen Personen inklusive Beine und Füße möglichst genau nachempfunden sind. Er leitet an der Universität Tübingen die Gruppe für Autonomes Maschinelles Sehen. Sein Ziel: Die Avatare sollen automatisch und mit möglichst geringem technischen Aufwand für den Nutzer entstehen.

„Man kann heute jederzeit jemanden beauftragen, der für ein paar Tausend Euro händisch und basierend auf Fotos den perfekten Avatar von einem selbst generiert“, sagt Geiger. „Unser Ziel ist aber, dass das jeder selbst mit einer einfachen Handykamera machen kann.“ Tiefenkameras, die dreidimensionale Bilder erzeugen, sind in immer mehr modernen Smartphones integriert und können helfen, die Geometrie eines Körpers zu erfassen.

Virtuelle Realität: Je nach Körperhaltung wirft sogar die Kleidung Falten

Dazu muss sich eine Testperson nur etwa eine Minute lang vor der Kamera bewegen, verschiedene Posen einnehmen und sich dabei mindestens einmal um die eigene Achse drehen, damit das System die Rückseite sieht. So lassen sich auch wichtige Informationen über die Verformung der Kleidung gewinnen. Schließlich wirft etwa ein weiter Pullover bei jeder Körperhaltung auch unterschiedliche Falten, die der Algorithmus korrekt wiedergeben muss. Das Ergebnis ist ein Avatar, der jede beliebige Pose einnehmen kann.

„Der Input für die neuen Posen könnte wieder aus einer Kamera stammen, die den User trackt und die Bewegung in Echtzeit auf den Avatar überträgt“, sagt Geiger. In Kleidungsstücke integrierte Sensoren könnten dazu eine Ergänzung sein, etwa wenn Körperteile verdeckt werden und deshalb für die Kamera nicht sichtbar sind. „Für den Einsatz zu Hause ist das aber eher ungeeignet“, sagt Geiger. Auch interessant: Forscher: Digitale Techniken stärker für Naturschutz nutzen

Den Beweis, dass ihre Methode funktioniert, haben die Forscher in Form einer wissenschaftlichen Veröffentlichung erbracht. Damit sie auch tatsächlich ohne technische Vorkenntnisse von jedermann zu Hause angewendet werden kann, ist allerdings noch mehr Entwicklung nötig. „Ich bin aber überzeugt, dass unsere oder ähnliche Technologien schon bald im Alltag ankommen werden“, sagt Geiger. „Die Start-ups dazu sprießen gerade aus dem Boden.“

Chance für die Inklusion benachteiligter Menschen

Wie jede neue Technologie wird auch unsere Präsenz als Avatar in der virtuellen Welt die Gesellschaft verändern. „Das kann gute oder schlechte Auswirkungen haben“, sagt Soziologe Harth. „Ich glaube aber nicht an das Schreckensbild, dass irgendwann alle nur noch unter ihren VR-Headsets stecken und keiner mehr in die richtige Welt geht.“

Schließlich hätte die Einführung neuer Medien wie Comics, Fernsehen oder Computerspiele auch schon in der Vergangenheit immer Ängste ausgelöst, die sich letztlich als unbegründet oder zumindest übertrieben herausgestellt haben. Vielmehr sieht der Wissenschaftler neben der Möglichkeit, Menschen über weite Entfernungen hinweg zu verbinden, auch großes Potenzial für die Einbeziehung benachteiligter Menschen in die Gesellschaft.

„Für Menschen mit körperlichenBehinderungen oder auch mit Pro­blemen im sozialen Umgang ist eine virtuelle Welt sehr attraktiv und könnte inklusiv wirken“, sagt Harth. Dort könnten sie am sozialen Leben teilnehmen, ohne ihr Zuhause verlassen zu müssen.