Berlin. Implantate ersetzen schon jetzt Sinnesorgane. Doch die Forschung ist noch nicht am Ende. So soll Steuerung durch Gedanken möglich sein.

Transhumanisten sehen die nächste Evolutionsstufe des Menschen in seiner Verschmelzung mit moderner Technik – und werden dafür nicht selten als Spinner abgetan.

Sie träumen von Unsterblichkeit, ungetrübtem Glück und manch superreicher Technologie-Guru will sich am liebsten schon jetzt per Gehirnimplantat die direkte Kommunikation mit Künstlicher Intelligenz ermöglichen.

Herzschrittmacher und Elektroden im Hirn für Parkinson-Patienten

Doch bei allem überbordendem Enthusiasmus haben diese Träumereien durchaus auch reale Grundlagen:

Menschen tragen Schrittmacher, um ihr Herz im Takt zu halten oder Elektroden im Gehirn, die eine Parkinson Erkrankung lindern – und sind damit per Definition schon jetzt nichts anderes als Cyborgs.

Und darüber hinaus sind vor allem die Sinnesorgane als Außenposten des Gehirns verhältnismäßig leicht zugängliche Schnittstellen zum Nervensystem, an denen die Elektronik ankoppeln kann.

Cochlea-Implantat: Feine Elektroden lassen Patienten hören

Der Klassiker unter den elektronischen Sinnesorganen ist das Cochlea-Implantat.

Es kommt immer dann zum Einsatz, wenn eine einfache Verstärkung des Schalls durch ein herkömmliches Hörgerät nicht mehr ausreicht, etwa weil die Haarzellen in der Hörschnecke (Cochlea) zerstört sind.

Weltweit tragen bereits Hunderttausende Menschen die feinen Elektroden eines solchen Implantats im Innenohr, wo sie die Nervenzellen stimulieren und den Patienten so wieder verschiedene Töne hören lassen.

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Metallisches Hörempfinden durch Cochlea-Implantat

Dazu nimmt ein am Körper getragenes Mikrofon zunächst den Schall auf und überträgt das Signal an einen Empfänger unter der Haut, der es verstärkt und an die Elektrode im Ohr weiterleitet.

Die künstliche Hörempfindung kommt zwar nicht an die eines gesunden Ohres heran und wird von den Betroffenen oft als „metallisch“ beschrieben. Zumindest ermöglicht sie es den Patienten aber, wieder mit ihren Mitmenschen zu sprechen.

Implantat wird durch minimalinvasiven Eingriff eingesetzt

Für die Durchführung der Operation, bei der ein millimetergroßes Loch durch den Schädel zur Cochlea gebohrt wird, setzten Ärzte mittlerweile auf nahezu vollautomatisch arbeitende Roboter.

Erst kürzlich wurde etwa am Universitätsklinikum Düsseldorf zum ersten Mal in Deutschland eine solche minimalinvasive, Roboter-assistierte Operation realisiert, was für die Patienten ein besonders behutsames und schonendes Vorgehen bedeutet.

Elektronisches Implantat für blinde Menschen

Schätzungen zufolge gibt es weltweit knapp 40 Millionen blinde Menschen. Vielen von ihnen könnte mit konventionellen Methoden geholfen werden, wenn sie nur Zugang zu entsprechender medizinischer Versorgung hätten.

Wenn jedoch die Netzhaut selbst ihre Funktion als Lichtdetektor aufgibt, bleibt neben einer Gentherapie ein elektronisches Implantat oft die einzige Hoffnung.

Künstliche Netzhaut: Hell und dunkel unterscheiden

Im Gegensatz zu Cochlea-Implantaten befinden sich künstliche Netzhäute allerdings noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium und wurden bisher nur in Ausnahmefällen an Menschen getestet.

In der Regel nimmt dabei eine Kamera, die etwa in den Rahmen einer Sonnenbrille integriert sein kann, ein Bild auf, wandelt die einzelnen Pixel in elektrische Signale um und schickt sie drahtlos an die auf der Netzhaut angebrachten Elektroden.

So entstehen beim Patienten rudimentäre, visuelle Eindrücke. Sie können hell und dunkel unterscheiden und im besten Fall Objekte wie eine Tür in einem Raum lokalisieren.

Schafe haben künstliche Netzhaut gut vertragen

Erst kürzlich haben Forscher der Universität Sidney ihre Version eines solchen Implantats erfolgreich an Schafen getestet und ihm eine besonders gute Verträglichkeit bescheinigt.

Es gibt jedoch auch bereits Ansätze für eine deutlich elegantere Version eines Retinaimplantats, das auf dem Konzept einer weichen Solarzelle aufbaut.

Beschädigte Netzhaut durch lichtempfindliche Folie ersetzen

Anstatt das Bild einer externen Digitalkamera zu verwenden, die immer nur der Bewegung des Kopfes und nicht unbedingt der Blickrichtung folgt, könnte eine lichtempfindliche Folie auch direkt ins Auge implantiert werden, um eins zu eins die Funktion der beschädigten Netzhaut zu ersetzen.

Die Entwicklung solcher künstlicher Netzhäute steckt zwar noch in den Kinderschuhen, geeignete Materialien existieren aber bereits.

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Handprothesen lassen sich per Gedankenkraft steuern

Handprothesen werden immer ausgeklügelter. Sie können einzelne Finger bewegen und lassen sich quasi durch Gedankenkraft steuern.

Dazu registrieren feine Sensoren auf der Haut des Armstumpfes die elektrischen Signale des Nervensystems, die entstehen, wenn sich der Träger die gewünschte Bewegung vorstellt und setzten sie dann in eine tatsächliche Bewegung der künstlichen Hand um.

Prothesen sollen künftig Tastsinn der Hand nachahmen

Um Prothesen noch enger mit dem Menschen verschmelzen zu lassen, sollen sie in Zukunft jedoch auch ein sensorisches Feedback liefern, das den Tastsinn einer echten Hand nachahmt.

Dazu werden etwa die Fingerspitzen der künstlichen Gliedmaßen mit Drucksensoren ausgestattet, um die für einen gesunden Menschen selbstverständlichen Zusatzinformationen über Form und Beschaffenheit des ergriffenen Objekts zu liefern.

In einzelnen Experimenten haben sich Versuchspersonen auch bereits Elektroden in den Armstumpf implantieren und direkt mit den dortigen Nervenenden verbinden lassen.

Künstlicher Tastsinn: Vergleich mit kleinen Nadelstichen

Die künstlichen Sinneseindrücke werden zwar als „elektrisch“ beschrieben oder mit kleinen Nadelstichen verglichen.

Dennoch kann ein Patient mit seiner künstliche Hand gewissermaßen tasten, was vor allem bei feinfühligen Tätigkeiten wie dem Umgang mit empfindlichen Objekten von großem Vorteil sein kann.

Leider ist von diesen ersten Versuchen mit einer direkten Verbindung zum Nervensystem bisher aber noch nichts in der klinischen Praxis angekommen.

Elektroden im Hirn: Computermaus per Gedankenkraft steuern

Elektroden können auch direkt ins Gehirn implantiert werden, um Gedanken auszulesen.

Das stellt allerdings noch ein enormes Gesundheitsrisiko dar und kommt nur für Patienten infrage, die aufgrund schwerer körperlicher Einschränkungen sonst keine Möglichkeit mehr hätten, mit ihrer Umwelt in Kontakt zu treten.

In aktuellen Anwendungen lassen sich so bereits einfache Dinge wie Mauscursor per Gedankenkraft steuern. An der richtigen Stelle eingepflanzt können – zumindest ansatzweise – auch ganze Worte und Sätze aus den Gehirnströmen rekonstruiert werden.

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Elon Musk: Das Gehirn mit der digitalen Welt verbinden

Besonders öffentlichkeitswirksam versucht derzeit etwa Elon Musk mit seiner Firma Neuralink solche implantierbaren Brain-Computer-Interfaces zu entwickeln.

Sie könnten zwar auch dazu dienen Nervenkrankheiten zu heilen. Erklärtes Ziel ist es aber, das menschliche Gehirn direkt mit der digitalen Welt zu verbinden.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.