Berlin. Schweizer Forscher züchten Kakaobohnen im Labor. Avocados und Gewürze sollen folgen. Können solche Lebensmittel die Klimakrise lösen?

Es ist die wohl teuerste Schokolade der Welt derzeit: die 100-Gramm-Tafel für 194 Euro. Doch in dieser besonderen Art der Schokolade soll die Zukunft stecken – und eine neue Form der Landwirtschaft. Denn die Kakaobohnen sind in einem Labor gezüchtet, anstatt an einer Pflanze unter freiem Himmel zu wachsen.

Eine Frage vorweg: Schmeckt das überhaupt? „Ja“, sagt Erfinder Tilo Hühn. Er sei selbst überrascht gewesen. „Sie ist fruchtig, blumig, schmeckt nach Zitrone und Beeren und sieht aus wie eine normale Milchschokolade.“

Hühn, ursprünglich aus dem Rheingau, ist Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil. Zusammen mit der Professorin Regina Eibl hat er die Schokolade hergestellt. Ihre Methode nennt sich zelluläre Landwirtschaft. Die Idee: Die Prozesse aus der Natur werden im Labor nachgeahmt.

Schokolade aus dem Labor: So werden Kakaozellen gezüchtet

Hühn und Eibl brauchten dafür nur am Anfang eine Kakaofrucht von einer Plantage aus Puerto Rico. Aus dieser haben sie den Samen, die rohe Bohne, herausgeholt. Die ritzten sie mit dem Skalpell an, steckten sie in einen Brutreaktor. Nach knapp 30 Tagen entstand eine Art Schorf, neue Kakaozellen, die sich immer wieder vermehren ließen, sagt Hühn. „Sie können daraus beliebig viel Schokolade machen.“ Und zwar ohne Sonnenlicht und Boden, auch ohne Pestizide und Dünger.

Wärme, Nahrung und Wasser brauchen die Zellen aber schon. Das Forscherteam setzt die Zellen aus dem Schorf deshalb in einen Bioreaktor. Das ist im Grunde ein gut belüfteter, wohl temperierter und sich leicht hin und her bewegender Plastiksack, in dem die Zellen in einer Nährlösung aus Kohlenhydraten, Vitaminen, Aminosäuren und Wachstumshormonen schwimmen – und sich teilen, teilen, teilen.

Kakao aus dem Labor: Der Reaktor ist gefüllt mit einer Lösung aus Kohlenhydraten, Vitaminen, Aminosäuren und Wachstumshormonen.
Kakao aus dem Labor: Der Reaktor ist gefüllt mit einer Lösung aus Kohlenhydraten, Vitaminen, Aminosäuren und Wachstumshormonen. © ZHAW Wädenswil Frank Brüderli | HAW Wädenswil Frank Brüderli

Neues Zeitalter der Lebensmittelproduktion

Am Ende werde die in nur wenigen Wochen herangereifte Zellmasse „geerntet, gefriergetrocknet, gemahlen und geröstet“, erklärt Hühn. Das Ergebnis sei Kakaopulver, aus dem Schokolade gemacht werden könne. Eine Zulassung habe diese noch nicht. Technologisch gebe es aber „keine großen Hürden mehr“, um den Kakao ohne Baum auch in großem Maßstab herzustellen.

Praktisch jede Zelle lasse sich im Bioreaktor vermehren, in der Pharmaindustrie sei dies schon lange üblich. Hühn will als nächstes Avocado, auch Kräuter und Gewürze im Labor züchten – und er ist nicht der Einzige, der sich in ein neues Zeitalter der Lebensmittelproduktion aufmacht.

Berühmt ist der Hamburger aus dem Labor, bereits 2013 von einem niederländischen Forscherteam vorgestellt. In Finnland arbeiten Wissenschaftler am Forschungsinstitut VTT in Espoo an Kaffee aus dem Bioreaktor.

„Etwa 100 große und kleine Unternehmen, viele davon Start-ups, arbeiten an Alternativen zu Früchten und Pflanzen vom Feld, und zu Fleisch und Milchprodukten vom Tier. Sie sitzen zumeist in Nordamerika, Israel und Singapur, zunehmend auch in Japan. Europa hinkt noch hinterher, aber das wird sich schnell ändern. Denn da steht ein Billionengeschäft in Aussicht“, sagt Oliver Stengel, Professor für Nachhaltigkeit an der Hochschule Bochum.

Antwort auf klimabedingte Ernteausfälle und Hunger

Vor kurzem hat er das Buch „Vom Ende der Landwirtschaft. Wie wir die Menschheit ernähren und die Wildnis zurückkehren lassen“ geschrieben und meint: „Für die Menschheit ist es besser, wenn sie sich nicht nur auf den Anbau unter freiem Himmel verlässt, sondern sich unabhängig macht von der Umwelt.“

Die Zahl der Hungernden in der Welt nehme schließlich zu statt ab. Zugleich wachse die Weltbevölkerung. Und die klimabedingten Ernteausfälle durch Dürren oder Überflutungen würden zahlreicher. Derweil seien die ökologischen Probleme, die Emissionen von Treibhausgasen und das Artensterben, die die heutige Landwirtschaft mit verursache, nicht gelöst.

Sieht aus wie Schokolade, ist Schokolade: Das Kakaopulver für diese Tafel stammt aus dem Bioreaktor.
Sieht aus wie Schokolade, ist Schokolade: Das Kakaopulver für diese Tafel stammt aus dem Bioreaktor. © ZHAW Wädenswil Frank Brüderli | ZHAW Wädenswil Frank Brüderli

Nach Laborfleischersatz nun Pflanzenersatz aus dem Bio-Reaktor

Die Herstellung im Labor braucht aber Energie, auch wenn Transporte rund um den Globus und die Herstellung von Pestiziden und anderen Agrarchemikalien wegfallen sollten. Stengel erklärt: „Fleischzellen lassen sich nur bei den für Säugetiere üblichen 37 Grad Celsius züchten, für tropische Pflanzen sind es 26 bis 29 Grad Celsius.“ Am Ende sei aber entscheidend, dass die Energie aus erneuerbaren Quellen komme.

Und weiter: „Natürlich wäre der Königsweg, die Ernährungsweise umzustellen und zum Beispiel weniger Fleisch zu essen, aber so ist der Mensch nun mal nicht.“ Er glaubt, dass in wenigen Jahren ein erheblicher Teil von Lebensmitteln aus dem Labor beziehungsweise dann aus großen Produktionsanlagen kommt.

Für viele Lebensmittel stimme das, sagt Professor Reimund Paul Rötter, der an der Uni Göttingen das Institut Tropischer Pflanzenbau leitet – für Kakao allerdings weniger. Der sei aus dem Labor viel zu teuer. „Die ökologischen Folgewirkungen bei der Fleischproduktion sind um ein Vielfaches größer als bei der Kakaoherstellung, der Druck, dort Alternativen zu finden, ist somit größer, und damit auch die Akzeptanz bei Verbrauchern. Zumal das Unbehagen, wie Tiere gehalten werden, wächst. Kakao aus dem Labor wird eine Nische bleiben“, so Rötter.

Die rohe Bohne wird mit dem Skalpell angeritzt und kommt dann in einen Brutreaktor. Dort entstehen neue Kakaozellen.
Die rohe Bohne wird mit dem Skalpell angeritzt und kommt dann in einen Brutreaktor. Dort entstehen neue Kakaozellen. © ZHAW Wädenswil Frank Brüderli | ZHAW Wädenswil Frank Brüderli

Im Schnitt 90 Tafeln Schokolade pro Kopf und Jahr

Nur: Kann der Konsum so überhaupt noch gedeckt werden? Allein jeder Deutsche isst pro Jahr im Schnitt 90 Tafeln Schokolade. Und in Ghana und der Elfenbeinküste – die beiden Länder liefern 60 Prozent des Kakaos weltweit – fielen schon in den vergangenen Jahren immer mal wieder Ernten wegen ungewöhnlicher Trockenheit mager aus.

Rötters Mitarbeiter Issaka Abdula, der in Ghana zur Dürreresilienz des Kakaoanbaus forscht, sagt: „Der Kakaoanbau muss an den Klimawandel angepasst werden. Schon jetzt pflanzen die Bauern zum Beispiel Schattenbäume an und entwickeln Bewässerungssysteme.“ Und weiter: „Wenn die Kakaobauern nicht mehr produzieren könnten, bräche ihr Einkommen weg, der volkswirtschaftliche Schaden in den westafrikanischen Ländern wäre enorm.“

Bauern an Einkünften aus Laborschokolade beteiligen

Hühn verspricht zwar, dass die Bauern an den Einkünften der Laborschokolade beteiligt werden, schon wegen der Vorgaben des Nagoya-Protokolls, dem globalen Abkommen gegen Biopiraterie: Unternehmen, die sich Pflanzen aus Entwicklungsländern zu eigen machen, müssten diese an den Profiten beteiligen.

Abdula aber glaubt nicht groß daran. „Wir sehen die Laborprodukte als Ergänzung, sie sollen die herkömmliche Landwirtschaft nicht komplett ersetzen, aber so weitermachen wie bisher können wir nicht“, sagt Hühn. „Darum werden wir die Schokolade konkurrenzfähig machen. Die 100-Gramm-Tafel wird anfangs unter 20 Euro kosten.“ Es gebe schon zahlreiche Anfragen von Investoren.

Stichwort: Protokoll von Nagoya

Das „Protokoll von Nagoya“ ist ein völkerrechtlich bindender Vertrag, der den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile regelt. Er ist im Oktober 2014 in Kraft getreten und bietet einen internationalen Rechtsrahmen.

Deutschland ist seit 2016 Vertragspartei, teilt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Verbraucherschutz mit. Zuständig für die Kontrolle ist das Bundesamt für Naturschutz. Die rechtliche Grundlage hierfür bietet zum einen das Gesetz zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll sowie eine entsprechende Verordnung der Europäischen Union.

Dieser Artikel erschien zuerst auf abendblatt.de.