Kingston. Der Nordwesten Jamaikas bietet vielfältige Naturattraktionen – ein Wasserfall diente bereits als Kulisse für einen James-Bond-Film.

Für Höhenängstliche geht die Bergfahrt als heilsame Schocktherapie durch. Kaum steht der Karibikurlauber am Fuß des „Mystic Mountain“, wird er von zwei ihre perlweißen Zähne bleckenden Männern fröhlich in einen XXL-Sessellift bugsiert – und zack, verlässt er den sicher geglaubten Boden schneller, als er „Halt“ und „Hilfe“ schreien kann.

Dann schwebt der bleiche Höhen- pho­biker bereits 200 Meter über dem knallgrünen Urwald in seinem wacke­ligen Lift gen Bergspitze. Kaum gesichert durch ein dünnes Bügelchen, ­beobachtet er erstarrt, wie eine Wolkenkratzerhöhe unter ihm andere Gondeln taleinwärts ruckeln. Und befürchtet, er selbst oder zumindest seine Flipflops könnten ins tiefgrüne Nichts oder auf fremde Köpfe fallen.

Bei Wind und Regen in der Gondel

Ihre volle Wirkung entfaltet die Übung, wenn aufkommender Wind und seitlicher Regen die Gondel unsanft zu wiegen beginnen und das Gefährt auf halber Strecke sinnlos hängen bleibt, während finstere Wolken eine Steigerung der Brise zum Hurrikan befürchten lassen.

Irgendwann wirkt das Abhärtungsverfahren bei jedem, und als die Gondel ein paar Minuten später wieder anruckelt, hat der nun erfolgreich therapierte Tourist sich längst an die Höhe gewöhnt und begonnen, den Blick auf das weite Grün und die nahe Karibikbucht zu genießen, in der just im Moment eines der vielen Kreuzfahrtschiffe liegt, die Jamaika regelmäßig ansteuern.

Angelandet am mystischen Gipfel, lässt sich das Vergnügen bei Bedarf mit einer Zip-Line fortsetzen, an der man sich zwischen den Wipfeln hin und her schwingen kann, und nach einem stärkenden Imbiss im Bergrestaurant geht es mit einer Bobbahn auf Gleisen wieder abwärts – dem Nachbau der Wagen, die das legendäre jamaikanische Winterolympiateam seit seiner ersten Olympiateilnahme 1988 in Calgary nutzte.

Sehenswert sind die Dunn’s River Falls

Der Mystic Mountain ist nur eines der vielen Ausflugsziele im Westen Jamaikas, die nervenkitzelndes Vergnügen in der Natur versprechen. Rund um die etwa 110.000 Einwohner zählende Stadt Montego Bay, eine der am meisten von Touristen besuchten Regionen der Karibikinsel, gibt es zahlreiche naturnahe Abenteuer zu erleben – von Ausritten am Strand über das Rafting bis zu Katamaran-Touren entlang der Küste.

Eine der sehenswertesten Natur­attraktionen der Insel sind die Dunn’s ­River Falls. Nahe der Kleinstadt Ocho Rios (spanisch für „acht Flüsse“) schlugen im Jahr 1657 englische Kolonialtruppen ein aus Kuba kommendes spanisches Expeditionsheer. So vereinnahmten die Briten auch die in Wahrheit aus nur vier Flüssen gespeisten Stufen-Wasserfälle.

Früher ein Abenteuerpark für Touristen

In den 1970er-Jahren kaufte die jamaikanische Regierung das Gebiet, heute dient es als mehr oder weniger naturbelassener Abenteuerpark für Touristen. Die Dunn’s River Falls, die sich über 183 Meter Länge erstrecken, eignen sich nämlich perfekt zum Klettern.

Angeleitet von standfesten Führern, kann man sie in (bisweilen Händchen haltenden) Gruppen in rund einer Stunde gegen die Strömung besteigen – ausgerüstet mit rutschfesten Wasserschuhen und im besten Falle mit umgegurteter, wasserfester Kamera, die den eigenen Wagemut für die digitale Nachwelt festhält.

Gefilmt wurden die Fälle auch vor ihrer Verstaatlichung und von prominenteren Filmemachern: In dem James-Bond-Film „Dr. No“ nehmen Sean Connery und Ursula Andress hier ein Bad. Hintergrund: Der Autor der Bond-Romanvorlagen, Ian Fleming, lebte einige Zeit auf Jamaika.

Die Mitglieder der Rasta-Bewegung bringt nichts aus der Ruhe

Kaum weniger Mord und Totschlag als in den Bond-Filmen soll es in dem wohl berühmtesten jamaikanischen Gebäude gegeben haben, dem Rose Hall Great House. Im Jahr 1770 errichtete der englische Plantagenbesitzer John Palmer das auf einem Hügel gelegene, hochherrschaftliche Gebäude für seine Frau Annie und sich selbst. Gedankt hat seine Gattin ihm diese architektonische Großtat allerdings nicht.

Der Legende nach ermordete sie den gutgläubigen Mann, um die Plantage für sich allein zu haben. Auch die zwei Männer, die sich die blutrünstige Annie in den folgenden Jahren nahm, überlebten ihre Zuneigung nicht. Ihre Leichen ließ sie auf dem weitläufigen Plantagenland verbuddeln. Seit ihrem Tod spukt Annie nun als „Weiße Hexe“ durch die im ­jamaikanisch-georgianischen Stil auf einem Steinsockel erbaute Villa.

Ein Besuch in einem Rastafari-Dorf

Wobei das offenbar nicht einmal die Jamaikaner selbst glauben, denn eigentlich hieß die Gattin gar nicht Annie, sondern ­Rose (daher der Name des Hauses) und galt überdies als äußerst tugendhaft. Vermutlich stammt die zumindest für die Touristen-Werbung hilfreiche Horror-Legende aus dem 1929 erschienenen Roman „Die weiße Hexe von Rosehall“.

Damit der West-Jamaika-Reisende nach so viel Abenteuer und Grusel wieder zur inneren Ruhe findet, empfiehlt sich ein Besuch in einem Rastafari-Dorf. Die Jamaikaner gelten zwar sowieso schon als tiefenentspanntes Völkchen mit sonnigstem Gemüt, das allen Herausforderungen mit einem entspannten „Soon come“ oder „Ya man!“ begegnet.

Die Mitglieder der Rasta-Bewegung aber bringt wirklich nichts und niemand aus der Ruhe. Das mag auch daran liegen, so die gän­gige Meinung, dass Marihuana bei ihnen als göttliche Pflanze und Medizin für alles gilt, deren Genuss man folglich zu keiner Tages- und Nachtzeit verschmähen sollte.

Hier wachsen angeblich Pflanzen, die einen Seitensprung verraten

Auf der Fahrt zum Bergdorf lässt sich noch schnell ein Abstecher in die Bucht machen, in der Kolumbus 1494 gelandet sein soll – und ein kurzer Blick auf die frühere Schule des legendären Sprinters Usain Bolt erhaschen. Um zum Rastafari Indigenous Village zu gelangen, werden wir an diesem sonnigen Nachmittag von unserem Rasta-Führer, der sich selbst den Namen „Firstman“ gegeben hat, durch einen seichten Fluss und einen steilen Hang hinaufgeführt.

Auf dem Weg und in einem eigens angelegten Botanik-Gärtchen erläutert uns der alterslose Hüne, der natürlich Dreadlocks und eine Art bis über die Knie reichenden Kartoffelsack als T-Shirt-Ersatz trägt, die medizinische und kosmetische Wirkung aller möglichen Pflanzen.

Manches, was hier wächst, nutzen die Frauen zum Rotfärben ihrer Lippen, anderes verabreichen sie ihren Männern, damit die in der Lage sind, ihren ehelichen Pflichten in gebührender Taktung nachzukommen. Es soll sogar Pflanzen geben, die anzeigen, wenn der Gatte sich anderswo verlustiert hat.

Spätestens seit Reggae-Botschafter Bob Marley von Jamaika aus die Welt eroberte, weiß fast jeder, dass auch die Musik ein wesentlicher Teil der Rasta-Kultur ist. Im Dorf angekommen, zeigt uns der 65 Jahre alte „King Toto“, der früher als Fischer seine jamaikanischen Dollars verdiente und erst im mittleren Alter zu den Rastas stieß, wie er aus Baumstämmen traditionelle Trommeln herstellt. Später holt die Dorfcombo daraus und aus vier Rasta-Kehlen alle Energie des Kosmos hervor.

Türkises Wasser, weißer Sand: Doctor’s Cave Beach nahe Montego Bay gilt als einer der schönsten Strände. Foto: Holger Leue Getty Images/Lonely Planet Images


Als einer der schönsten Strände gilt Doctor’s Cave Beach

„Jeder macht sein Ding, und zusammen gibt es ein gutes Ganzes“, sagt Firstman und lacht. „Das Wichtigste ist, im Einklang mit der Natur zu leben.“ Im Glauben der Rastafari spielt aber nicht nur Mutter Erde eine wichtige Rolle, sondern auch der einstige äthiopische Kaiser Haile Selassi (1892–1975), den sie für den Messias halten.

Die rot-gelb-grüne Flagge der Bewegung symbolisiert daher nicht nur Blut, Sonne und Pflanzenwelt (vor allem die Marihuana-Pflanze), sondern auch entsprechend der (umgedrehten) Flagge Äthiopiens die afrikanische Vegetation, das Gold Afrikas und das Blut der Märtyrer.

Eine Option für eine Reise ist Jamaika natürlich auch wegen seiner Strände. Als einer der schönsten in der Region um Montego Bay gilt der Doctor’s Cave Beach. An diesem von gestrengen Bademeisterinnen bewachten Strand strahlt der Sand so weiß und das Wasser glitzert so türkis, als wären sie durch einen Fotofilter veredelt.

Wer nach dem Sonnen- und Karibikbad noch Mitbringsel braucht, wird in dieser Ecke bestens bedient. Neben dem Strand liegt die Einkaufs- und Partymeile Gloucester Avenue, genannt „Hip Strip“. Hier drücken sich Dutzende Geschäfte mit Bob-Marley-Mützen und T-Shirts mit Marihuanablatt zwischen Hotels, Bars und Restaurants, und nach Sonnenuntergang erwacht das Nachtleben.

Tipps & Informationen

Ab Berlin oder Hamburg erfolgt die Anreise zum Beispiel mit Eurowings via Düsseldorf oder Lufthansa via Frankfurt.

Mögliche Unterkünfte sind zum Beispiel Rose Hall Beach Hotel,
DZ ab 230 Euro, oder SeaGarden Beach Resort, DZ ab Euro.

(Diese Reise wurde unterstützt von Iberostar Hotels & Resorts.)