Berlin. Dass Menschen über die Jugend schimpfen, ist schon seit über 2000 Jahren belegt. Doch woher kommt dieses Misstrauen gegenüber Jungen?

Sie lieben den Luxus, ärgern die Lehrer und lümmeln herum – mehr als 400 Jahre vor Christus hatte der griechische Denker Sokrates viel an den jungen Leuten seiner Zeit auszusetzen. „Die Jüngeren stellen sich den Älteren gleich und treten gegen sie auf, in Wort und Tat“, moserte dann sein Schüler Platon (427 bis 347 v. Chr.). Und als Platons Zögling Aristoteles erwachsen war, sah es offenbar noch düsterer aus: Er verzweifle an der Zukunft der Zivilisation, wenn er die Jugend sehe, wird der Philosoph zitiert.

Kritik an der Jugend ist ein uraltes Phänomen. Und es ist noch immer sehr beliebt. Aktuell geht es vor allem um die sogenannten Millennials. Die 1980er- und 1990er-Jahrgänge seien selbstmitleidig, besessen von Smartphone, Selfies oder sozialen Netzwerken – verhätschelte Narzissten, behauptet etwa eine Studie der Marketingagentur Syzygy.

Für Soziologen und Psychologen sind diese Klagen erklärbar. Sie seien mit Angst begründet oder mit dem Willen, eine Generationenindustrie zu schaffen, die mit Ratgebern oder Handlungsanleitungen Geschäfte macht.

Es gibt Belege aus vielen antiken Kulturen

Griechen, Römer, Mittelalter, Moderne – immer sind es die gleichen Beschwerden. „Vor dem alten Griechenland war es das alte Ägypten, davor das alte Mesopotamien. Es gibt aus vielen antiken Kulturen Belege für diesen Stereotyp der respektlosen jungen Männer“, sagt der britische Althistoriker Matthew Shipton. Er hat den Zoff zwischen den Generationen im antiken Athen erforscht: „Man findet dort ziemlich viel von dieser Vorstellung, die wir heute noch kennen: Alles wird immer schlechter, man lebt in der schlimmsten aller Zeiten und Kinder respektieren ihre Eltern nicht mehr.“ Spätestens mit dieser Generation gehe es bergab, denkt jede Generation.

David Finkelhor hat dafür ein Wort erfunden: Juvenoia. Darin stecken „juvenil“ und „Paranoia“ – das steht für die Angst vor der Jugend und zugleich um die Jugend. „Es geht um die übertriebene Besorgnis vor dem Effekt, den soziale Veränderungen auf Kinder haben“, erklärt der Soziologe, der seit Jahrzehnten an der US-Universität New Hampshire über Jugendschutz forscht. „Wir ziehen gerne den Schluss, dass es schlecht um unsere Kinder steht. Und dass das unserer Gesellschaft schaden wird.“

Bei den alten Griechen sei das genauso gewesen, sagt Althistoriker Shipton. Ständig tauche der Zwist zwischen Alt und Jung etwa in den griechischen Dramen auf, den Massenmedien der antiken Stadtbewohner. Je unruhiger die Zeiten, desto negativer falle die Beschreibung der Jugend aus.

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    Bei älteren Generationen spielt auch Angst eine Rolle

    In Deutschland versuchen zahllose Studien seit den 1950er-Jahren, die jeweilige Jugendgeneration mit Diagnosen, Prognosen und Schlagwörtern zu fassen: Generation Babyboomer, Generation X oder Me. „Man hat mit diesen ganzen Surveys angefangen, weil man sich der Jugend nicht sicher sein konnte“, sagt Günter Mey, Professor für Entwicklungspsychologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. „Im Grunde ist es nicht nur ein Informationsinstrument, sondern ein Kontrollinstrument: Was passiert hier eigentlich?“ Dabei spiele Angst eine große Rolle.

    Im 20. Jahrhundert sei der Ton in den sozialwissenschaftlichen Standardwerken besonders streng, sagt Günter Mey. „Es ist häufig ein extrem negativer, defizitärer Blick, immer schon gedacht von der Ziellinie einer etablierten, erwachsenen Person.“ Der junge Mensch werde als unfertiger Erwachsener gesehen – schlimmstenfalls gefährlich, nie aber ernst zu nehmend.

    Soziologe Finkelhor vermutet, dass dahinter die evolutionär bedingte Angst vor Veränderungen steckt. „Auf einer gesellschaftlichen Ebene geht es darum, dass ich Hüter bestimmter Werte oder Institutionen bin, die ich bewahren will“, erklärt er. „Und ich gehe dann davon aus, dass diese jungen Leute sie angreifen, abschaffen oder untergraben werden.“ Je rasanter die Veränderung, desto abwehrender die Reaktion.

    Dabei ist es laut Finkelhor in Wahrheit so: Wie Chamäleons fügten sich junge Menschen in die Welt ein, in der sie aufwachsen. Das sei eine Überlebensstrategie von Gesellschaften, die sich so besser an Veränderungen ihrer Umwelt anpassen könnten.

    Was sind eigentlich Jugendkulturen?

    Die klassische Generation als Altersgemeinschaft hat dabei weitestgehend ausgedient. Jugendkulturen etwa ließen sich heute überhaupt nicht mehr als solche klassifizieren, berichtet Mey. Es gehe immer weniger um das biologische Alter. „Wir erleben, dass es, ungeachtet welche Jugendszene wir uns anschauen, dort sowohl die 20-Jährigen bis hin zu den 50-Jährigen gibt“, so Mey. Juvenile Vergemeinschaftungen nennen das die Forscher.

    Der Arbeitspsychologe Prof. Hannes Zacher von der Universität Leipzig warnt sogar davor, den Generationen Stereotypen anzuhaften. „Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass Unterschiede zwischen Generationen in Bezug auf Werte, Einstellungen und Verhalten existieren. Das sind Vorurteile, die Ausgrenzung und Diskriminierung fördern“, sagt Zacher. Von bestimmten Gruppenmerkmalen auf das Verhalten Einzelner zu schließen, sei generell unmöglich. Die Idee der Unterschiede habe lediglich dazu geführt, die Geschäfte einer Generationenindustrie zu beflügeln.

    Auch an der Form der Untersuchungen übt der Psychologe aus Leipzig scharfe Kritik: Der Generationenbegriff bezeichne eine Gruppe von Menschen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums geboren worden sind. In bisherigen Studien aber seien diese Menschen immer nur zu einem bestimmten Zeitpunkt befragt worden. Tatsächlich müssten sie mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte lang wissenschaftlich begleitet werden, um belastbare Aussagen treffen zu können. Außerdem seien die Zeitspannen der Geburtsjahrgänge, durch die Generationen bestimmt werden, willkürlich gesetzt. Ein und dieselbe Generation werde mitunter in verschiedenen Studien unterschiedlich definiert.

    Zacher schlägt deshalb vor, die Generationenforschung auszusetzen, bis es eine angemessene Untersuchungsmethode und eine bessere Datengrundlage gibt. Ohne diese sei die Diskussion über Generationenunterschiede vor allem eines: Zeitverschwendung.