Berlin . In Deutschland gibt es kein formales Grundrecht auf Energie. Worauf Verbraucher achten müssen, wenn ihnen der Strom abgestellt wird.

Ein zivilisiertes Leben ohne Strom ist kaum möglich. Denn ohne Elektrizität funktioniert in Wohnungen oft nichts – weder Licht und Telefon noch Internet und Herd. Trotzdem drohen Unternehmen immer wieder mit Stromsperren für Privathaushalte, die in Zahlungsverzug geraten sind. Über 330.000 Haushalte in der Bundesrepublik mussten 2016 zeitweise ohne Elek­trizität auskommen, weil die Stromlieferanten die Versorgung kappten. Das ist weniger als ein Prozent der Privathaushalte – doch auch ein Zeichen für Armut.

Manche Stromversorger umwerben inzwischen gezielt Verbraucher, die Zahlungsprobleme haben. Betriebswirtschaftlich kann das sinnvoll sein, wenn die Firmen so die Zahl ihrer Kunden steigern oder zumindest Abwanderung verhindern.

Prepaid: Ist die Summe verbraucht, fließt kein Strom mehr

Ein Beispiel ist der Stadtwerke Energie Verbund SEV in Kamen. „Unabhängig vom Zahlungsverhalten beim Vorversorger erhalten die Kunden die Chance auf einen günstigeren Tarif“, heißt es bei SEV. Die Firma akzeptiert auch Haushalte mit Schufa-Eintrag und bietet ihnen Verträge, mit denen sie ihre monatlichen Zahlungen im Vergleich zum alten Kontrakt verringern können. „Bei einem Anbieterwechsel kann man oft bis zu 20 Prozent sparen“, sagt SEV-Geschäftsführer Jochen Grewe. Die konkrete, mögliche Jahreseinsparung wird bei den SEV-Tarifen mit „im Durchschnitt bis zu 150 Euro beim Strom (4000 kWh) und bis zu 300 Euro beim Gas (20.000 kWh)“ angegeben.

Ein anderes Modell praktizieren die Stadtwerke Energie Jena-Pößneck in Thüringen. Die Firma bietet Kunden „Vorkassenzähler“ an. Diese Stromzähler funktionieren ähnlich wie Prepaid-Handys. Man lädt einen Geldbetrag auf einen Chip. Ist die Summe verbraucht, fließt kein Strom mehr. Durch Aufladung lässt sich die Lieferung wieder in Gang bringen. Haushalten mit Zahlungsschwierigkeiten kann das helfen.

Zahlungsrückstände unter 100 Euro dürfen nicht zur Sperrung führen

Solche Unterstützung scheint dringend nötig. „Strom ist einerseits ein existenzielles Gut“, wie Rechtsanwältin Stephanie Kosbab von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sagt, „andererseits jedoch existiert ein formales Grundrecht auf Strom nicht“. Grundsätzlich muss zwar jeder Haushalt von einem Grundversorger in seinem Netzgebiet beliefert werden. Zahlen die Kunden allerdings ihre Rechnungen nicht, dürfen die Stromfirmen die Lieferung auch einstellen.

Dabei sind sie freilich an gewisse Voraussetzungen gebunden. Zahlungsrückstände unter 100 Euro dürfen nicht zur Sperrung führen, heißt es in Paragraf 19 der bundesweit gültigen Verordnung über die Grundversorgung. Will ein Unternehmen die Lieferung unterbrechen, muss es dies den Kunden vier Wochen vorher androhen und drei Tage vorher nochmals ankündigen. Außerdem muss die Stromsperre „verhältnismäßig“ sein.

Wenn es beispielsweise draußen sehr kalt ist, kleine Kinder betroffen sind, die säumigen Kunden eine Ratenzahlung anbieten oder das Beatmungsgerät eines Kranken ohne Strom nicht funktioniert, tendieren Gerichte dazu, eine Stromsperre auszusetzen. „Die Sperre darf immer nur das letzte Mittel sein“, sagt Verbraucheranwältin Kosbab.

Ratenzahlung kann Stromsperre verhindern

„Wichtig ist, dass sich die Kunden unverzüglich beim ersten Zahlungsverzug direkt mit ihrem Energieversorger in Verbindung setzen und nicht warten, bis eine hohe Summe aufgelaufen ist“, empfiehlt Jan Ulland vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Auch kann es hilfreich sein, eine Beratung bei der Verbraucherzentrale in Anspruch zunehmen.

Droht eine Sperre, sollte man eine Ratenzahlung anbieten, um den Rückstand abzubauen. Ist die Stromsperre einmal erfolgt, gibt es dagegen kein Recht auf Teilzahlung. Bei Leuten, die Arbeitslosengeld II oder andere Transferleistungen erhalten, hilft mitunter das Jobcenter. In manchen Fällen geben die Institutionen Darlehen, damit die Kunden ihre Stromschulden loswerden.

Häufig deckt Hartz-IV-Satz Stromkosten nicht ab

Weil Stromsperren keine Ausnahmen mehr sind, entwickeln viele Stromversorger einen neuen Umgang mit dem Problem. „Grundsätzlich sind Energieversorger daran interessiert, bei Zahlungsrückständen eine Lösung zu finden, die eine Sperrung verhindert“, so BDEW-Sprecher Jan Ulland. Verbraucheranwältin Kosbab verlangt von den Firmen, sie sollten auch das Angebot kleiner Rückzahlungsraten von vielleicht zehn oder zwanzig Euro monatlich seitens der säumigen Kunden akzeptieren. Ein kundenfreundliches Unternehmen erkennt man auch daran, dass für die Sperrung und Entsperrung eines Stromzählers nur beispielsweise jeweils 30 und nicht 80 Euro verlangt werden.

Ein politisches Problem ist mit alldem allerdings nicht gelöst: In vielen Fällen reicht der Hartz-IV-Satz nicht aus, um die Stromkosten zu decken. Aktuell sind darin knapp 34 Euro für Elektrizität enthalten, während die tatsächlichen Kosten oft um die 40 Euro oder höher pro Kopf und Monat liegen. Nicht nur Stephanie Kosbab von der Verbraucherzentrale NRW fordert deshalb, dass die Transferleistungen an die tatsächlichen Aufwendungen angepasst werden.