Berlin. Der Fleischhunger der Welt wächst und belastet die Umwelt. Fläche und Futter für Nutzvieh fehlen. Insekten sollen das Problem lösen.

Eine Küchenschabe würden die meisten Deutschen wohl lieber zertreten, statt sie in der Pfanne zu braten. 35 Prozent der Bundesbürger ekeln sich vor dem Verzehr von Insekten, wie eine Umfrage des Bundesinstituts für Risikobewertung ergab. Immerhin 40 Prozent können sich vorstellen, mal an einem Krabbler zu knabbern, knapp 14 Prozent haben das schon mindestens einmal probiert.

Während in Belgien und den Niederlanden bereits Produkte wie Burger oder Frikadellen aus Insekten in den Supermarktregalen liegen, ist Deutschland zurückhaltend. Geht es nach der Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen FAO, soll sich das ändern.

Welche Vorteile bieten Insekten?

Aus ökologischer Sicht bieten Insekten viele Vorteile gegenüber Säugern. Nach Berechnungen der FAO können sie im Schnitt zwei Kilogramm Futter in ein Kilogramm Fleisch umsetzen, ein Rind benötigt acht Kilogramm Futter, um dieselbe Masse anzusetzen.

Pro Kilogramm Masse erzeugen etwa Mehlwürmer demnach rund 30 Gramm Treibhausgase, Schweine etwa 1100 und Rinder fast 3000 Gramm. Während die Produktion eines einzigen Kilos Rindfleisch laut Bundesernährungsministerium mehr als 15.000 Liter Wasser verschlingt, bräuchte man für Insektenfleisch einen Bruchteil davon, Weidefläche wäre kein Problem mehr. Insekten könnten mit Bioabfällen gefüttert werden, so die Annahme der FAO, für ihre Ernährung wäre keine weitere Anbaufläche nötig.

Zudem sind „Insekten proteinreich und liefern Energie, können also einen Beitrag zur Protein- und Nahrungssicherung leisten“, sagt Dr. Birgit Rumpold vom Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie. Für die Senatskommission zur gesundheitlichen Bewertung von Lebensmitteln (SKLM) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erarbeitete sie mit Kollegen den jüngsten Bericht zu Sicherheitsaspekten bei der Herstellung von Lebensmitteln aus Insekten.

Warum essen die Deutschen noch keine Insekten?

In einem Risikoprofil zum Verzehr von Insekten geht die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) von rund 2000 essbaren Spezies aus. Dennoch „dürfen in der EU verarbeitete Insekten ohne Zulassung nicht für Lebensmittel verwendet werden, das schreibt die sogenannte Novel-Food-Verordnung vor“, erklärt Angela Clausen, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Vereinzelt gibt es ganze Krabbler als Delikatesse in Restaurants, aber hier bewegen sich die Anbieter in einer rechtlichen Grauzone. Das soll sich 2018 ändern. Dann „gelten alle Insektenspezies – ob ganz oder zerkleinert –, die nicht vor Mai 1997 in nennenswertem Umfang in der EU verzehrt wurden, als neuartige Lebensmittel (Novel Food) und müssen einen Zulassungsprozess durchlaufen“, erklärt Clausen.

In Belgien und den Niederlanden setzte man sich über die unklare Regelung hinweg und machte die Vermarktung bestimmter Insekten als Lebensmittel im nationalen Alleingang möglich. Die dort zugelassenen Insekten müssen 2018 gegebenenfalls erneut genehmigt werden. Deutschland wäre bis dato kaum betroffen, Handel, Industrie und Politik behandeln das Feld bislang stiefmütterlich.

Eines der wenigen deutschen Unternehmen, die Lebensmittel aus verarbeiten Insekten herstellen, ist die Bugfoundation aus Osnabrück. Aber: Die Burger aus zerkleinerten Buffalowürmern „verkaufen wir momentan nur nach Belgien und in die Niederlande“, sagt Gründer Max Krämer. In Deutschland riskiere man mögliche Geldstrafen und hoffe auf das Jahr 2018, wenn Insekten für ganz Europa zugelassen werden könnten.

Warum man in Deutschland so zögerlich agiert, ist Wissenschaftlerin Birgit Rumpold ein Rätsel: „Letztlich könnte es einen Wettbewerbsnachteil für Deutschland bedeuten.“ Auch forschungsseitig werde hierzulande zu wenig in das Thema investiert, kritisiert die Expertin. In anderen europäischen Ländern sei das anders.

Welche Probleme gibt es?

Jede Spezies muss einzeln auf Gesundheitsrisiken geprüft werden, was den Prozess erschwert und verlängert. Denn bisher ist nur wenig darüber bekannt, etwa welche Krankheiten, sogenannte Zoonosen, die Krabbler beim Verzehr übertragen könnten, wie krankheitsanfällig die Tiere sind, ob sie sich mit Antibiotika behandeln lassen oder Resistenzen entwickeln können.

Zudem haben Insekten „grundsätzlich – so wie alle proteinhaltigen Lebensmittel – ein allergenes Potenzial“, sagt Rumpold. Wie auch bei Schwein, Rind und Huhn müssten Insekten „unter kontrollierten Bedingungen mit kontrolliertem Futter gezüchtet werden, um Risiken auszuschließen“, erklärt die Expertin. Die Tiere einfach im Wald einzusammeln, sei aus Sicht der Lebensmittelsicherheit nicht empfehlenswert. Wie genau Insekten für die Massenproduktion gehalten werden dürften, ist ebenfalls unklar.

Es sei fast nichts darüber bekannt, inwieweit Insekten Schmerz und Unwohlsein empfinden, hält die FAO in einer Überblicksstudie zu essbaren Insekten aus dem Jahr 2013 fest. Ob und wie tierschutzrechtliche Aspekte bei Insektenmassenhaltung greifen, müsste noch definiert werden.

Wie sieht die Zukunft aus?

Aller Vorteile zum Trotz bleibt es der Verbraucher, der entscheidet, ob Insekten sich im Markt durchsetzen. „Jeder muss frei entscheiden können, ob er Insekten verzehren möchte“, sagt Verbraucherschützerin Clausen. Das heißt: „Transparenz und Sicherheit sind oberstes Gebot. Auch wenn nur Proteine aus Würmern enthalten sind, müsste das auf der Verpackung angegeben sein, ebenso wie ein mögliches Allergierisiko.“ Aus ökologischer Sicht müsse man das Potenzial nutzen, glaubt Clausen, „aber die Akzeptanz ist in unserem Kulturkreis ein schwer lösbares Problem“.

„Ich glaube nicht, dass Insekten in Deutschland eine ernsthafte ‚Gefahr‘ für den Fleischkonsum werden“, meint auch Birgit Rumpold, „es könnte aber vielleicht mal trendig werden, Insekten zu essen – ähnlich der Entwicklung bei Sushi. Wer hätte in den 70ern in Deutschland wohl rohen Fisch verzehrt?“