Boatpeople: Jetzt kommen die verzweifelten Flüchtlinge aus Mauretanien. Die Schlepper kassieren 1000 Euro pro Kopf und panschen den Sprit. Hunderte kentern und sterben.

Madrid/Hamburg. Die Spanier müssen sich an ein neues Wort gewöhnen. "Patera" nannten sie die winzigen Holzboote, mit denen die Afrikaner bisher von Marokko oder der Westsahara an die Küsten Andalusiens oder der Kanarischen Inseln kamen. Seit einiger Zeit kommen die Menschen in größeren "Cayucos", in Fischerbooten, mit denen sie bereits im afrikanischen Mauretanien ablegen. Jetzt gibt es einen dritten, furchtbaren Begriff: "Todesschiffe".

24 Ertrunkene barg ein spanisches Lazarettschiff diese Woche aus dem Meer vor der mauretanischen Küste. Einige von ihnen lagen noch in einem in den Wellen treibenden "Cayuco", andere trieben im Meer. Mehr als 1000 Menschen sind nach Schätzungen des mauretanischen Roten Halbmonds allein seit November auf der Überfahrt zu den Kanarischen Inseln ertrunken. Der spanische Fernsehkanal TVE berichtete, die Schleuser hätten in manchen Fällen den Schiffstreibstoff mit Wasser versetzt, um Geld zu sparen. Die Motoren setzten auf See aus und die Boote kenterten am Ende in den Wellen.

Wer es geschafft hat, kann von den tragischen Unglücken berichten. "Ein Boot neben uns kenterte, wir hörten die Schreie der Ertrinkenden", erzählt ein 23jähriger aus Mali nach seiner fünftägigen Überfahrt. Ihre Namen wollen die Migranten nicht nennen. Denn die Schlepper drohen, ihre Familien zu töten.

Rund 3000 der Wirtschaftsflüchtlinge aus Gambia, Mali oder dem Senegal sind in diesem Jahr auf den Kanaren angekommen. Noch im vergangenen Jahr war ihre Zahl um 44 Prozent zurückgegangen. Die Polizei im bisherigen Transitland Marokko hatte nämlich den Druck auf die Migranten verstärkt. Doch die Schleuserbanden haben ihr Geschäft inzwischen nach Mauretanien verlegt. Eine Überfahrt kostet für die meist bitterarmen Menschen 1000 Euro.

Die spanische Inselgruppe der Kanaren, bei deutschen Touristen seit Jahrzehnten beliebt, erlebt in diesen Tage einen beispiellosen Zustrom von Verzweifelten vom afrikanischen Festland. Allein seit dem vergangenen Wochenende gelangten mehr als 1000 afrikanische Flüchtlinge nach Teneriffa und Gran Canaria. Gestern kamen fünf weitere Boote mit 200 Menschen. Die Aufnahmelager der Ferieninseln sind bereits völlig überfüllt, so daß die Immigranten in Einrichtungen des Militärs untergebracht wurden. Adan Martin, der Regierungschef der autonomen Kanarischen Inseln, sprach bereits von einem "nationalen Notstand" und will ein Krisenkabinett bilden.

Spaniens Regierung beschloß auf einer Krisensitzung einen Dringlichkeitsplan für den Kampf gegen die illegale Zuwanderung.

Das Wort von den "Todesschiffen" stammt von Mauretaniens Innenminister Mohamed Ahmed Uld Mohamed Lemin. Er versicherte der spanischen Tageszeitung "El Paíis", sein Land errichte derzeit mehrere Zwischenlager für Migranten, die in ihre Heimatländer abgeschoben werden sollten. Er vermutet einige hunderttausend Migranten in seinem Land. Mauretanien erwartet Hilfe der EU, wenn es die Union im Kampf gegen die illegale Migration unterstützen soll - Schiffe, Flugzeuge und Fahrzeuge.

Bei einem Blitzbesuch sagte eine hochrangige spanische Regierungsdelegation dem westafrikanischen Land spanische Patrouillenboote zur Überwachung der Küste sowie Hilfen beim Bau eines Aufnahmelagers zu. Marokko erhielt erst im Herbst auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise um die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla für den Kampf gegen die illegale Migration 40 Millionen Euro. Seither ist es zu keiner Erstürmung der Grenzzäune mehr gekommen.

Die Flüchtlinge, die es nach Spanien schaffen, haben indessen nur selten mit Abschiebung zu rechnen. Viele Herkunftsstaaten lehnen eine Rücknahme ab. In Spanien dürfen die Afrikaner aber nicht arbeiten. So leben sie nicht selten in den Parks der Großstädte, sind angewiesen auf Hilfsorganisationen und hoffen auf Gelegenheitsjobs bei Bauern oder auf dem Bau. Der Immigrantendruck auf die EU wird derweil immer größer. Und er werde so bald nicht nachlassen, sagte Friso Roscam Abbing, Sprecher von EU-Justizkommissar Franco Frattini.