Berlin. Der Eklat rund um die Wahl von Thomas Kemmerich setzt der FDP schwer zu. Parteichef Lindner muss eingreifen – und er wackelt selbst.

Am Ende steht Thomas Kemmerich alleine da. Etwas verloren sieht sich der Mann mit der Glatze um, als er alle Fragen beantwortet und nichts mehr zu sagen hat. Gerade hat der FDP-Politiker den Journalisten in der Erfurter Staatskanzlei erklärt, dass er nicht Ministerpräsident bleiben wird. Die beiden Pulte rechts und links von ihm sind leer, von Parteichef Christian Lindner ist nichts zu sehen. Kemmerichs Wahl zum Regierungschef von Thüringen ist da gerade einmal gut 24 Stunden her. Jetzt wollen er und seine Fraktion den Landtag auflösen lassen.

„Der Rücktritt ist unumgänglich, die Auflösung des Parlaments ist unumgänglich“, sagte Kemmerich am Donnerstag. „Gestern hat die AfD mit einem perfiden Trick die Demokratie versucht zu beschädigen“, meinte er weiter, „dem weichen wir aus.“ Sollte es für die Auflösung des Parlaments nicht die erforderliche Zwei­drittelmehrheit geben, wolle er die Vertrauensfrage stellen, so Kemmerich. Demokratische Mehrheiten ließen sich in diesem Landtag offensichtlich nicht herstellen. Genau die bräuchten Demokraten aber, um zu regieren.

Thüringen: Dass die FDP keine Mehrheit hat, war klar

Gerade einmal fünf von insgesamt 90 Sitzen hat die FDP im Erfurter Landtag, nur knapp hatte die Partei es im Oktober über die Fünfprozenthürde geschafft. Dass das auch mit Unterstützung von CDU, SPD und Grünen nicht reichen würde, um ohne Linke oder AfD Gesetze zu verabschieden, war schon am Mittwochabend klar. Trotzdem hatte Kemmerich da noch ganz anders geklungen, wollte sich „der Verantwortung stellen“. Noch am Donnerstagmorgen war von Rücktritt keine Rede gewesen, stattdessen von einer „großen Aufgabe“ und dass es darum gehe, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden.

Doch da waren die Rufe nach seinem Rücktritt schon ohrenbetäubend laut. Nicht nur SPD, Grüne und Linke waren entsetzt über die Wahl in Erfurt. Der Zentralrat der Juden warf der FDP vor, den „Konsens der demokratischen Parteien“ zu verlassen. Das Internationale Auschwitz Komitee gab zu Protokoll, man erinnere sich daran, „welche Nazi-Granden in der jungen Bundesrepublik gerade in der FDP ihre politische Heimat gefunden hatten“.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Und während es aus der FDP selbst anfangs noch Glückwünsche gegeben hatte, mehrten sich auch hier bald die Stimmen, die dem 54-Jährigen dringend einen Rücktritt empfahlen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Mitglied im Bundesvorstand der Partei, nannte den Vorgang „inakzeptabel“, Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff schrieb, man lasse sich nicht von Faschisten wählen, und wenn es doch passiere, nehme man die Wahl nicht an.

FPD-Chef Christian Lindner stellt Vertrauensfrage

Auch Parteichef Christian Lindner gehörte zu den Befürwortern eines Rücktritts – jedenfalls am Donnerstag. Am Abend vorher hatte der Parteichef noch an CDU, SPD und Grüne appelliert, mit Kemmerich als Ministerpräsident zusammenzuarbeiten. Am nächsten Morgen war Lindner auf dem Weg nach Erfurt. Um zu retten, was zu retten war.

Er könnte sein Amt als Parteichef nicht fortsetzen, wenn eine Gliederung der FDP eine Zusammenarbeit mit der AfD anstrebe „oder auch nur eine Abhängigkeit in Kauf nimmt“, sagte Lindner am Donnerstagnachmittag – bei seinem eigenen Statement, später und an einem anderen Ort als Kemmerich. Dass hatte Lindner offensichtlich auch dem frisch gewählten Ministerpräsidenten klargemacht, um ihn zum Einlenken zu bewegen. Er sei dankbar, sagte Lindner deshalb, dass der Thüringer FDP-Chef die „harte und notwendige Entscheidung“ getroffen habe, sein Amt zurückzugeben. Eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit oder Abhängigkeit von der AfD dürfe es für eine demokratische Partei in Deutschland nicht geben.

Der Unmut aus der eigenen Partei trifft auch ihn, Lindner steht unter Druck. Am Donnerstag entschied er sich deshalb für die Flucht nach vorn: Am Freitag soll in Berlin der Bundesvorstand der Partei zusammenkommen und auf seinen Antrag hin die Vertrauensfrage beantworten. Es sei eine Situation entstanden, in der sich die Bundesparteiführung der FDP – also Lindner selbst – neu legitimieren müsse. „Nach den heutigen Entscheidungen hier in Erfurt ist es mir möglich, mein Amt fortzusetzen“, sagte Lindner. „Aber ich will mich der Legitimation unseres Führungsgremiums versichern.“

• Kommentar: Lindner hat in der Thüringen-Krise auf ganzer Linie versagt tabubruch in thüringen- der braune makel von kemmerich

Auch er ist nach der umstrittenen Wahl von Thomas Kemmerich angeschlagen: FDP-Chef Christian Lindner am Donnerstag in Erfurt.
Auch er ist nach der umstrittenen Wahl von Thomas Kemmerich angeschlagen: FDP-Chef Christian Lindner am Donnerstag in Erfurt. © dpa | Martin Schutt

Erleichterung in der FDP nach Kemmerichs Rückzugs-Ankündigung

Doch der angeschlagene Parteichef vergaß in Erfurt nicht, darauf hinzuweisen, dass das Debakel nicht nur eines der FDP ist. Er sei „irritiert“, dass die CDU-Landtagsfraktion keine Absichten habe, den Weg zu Neuwahlen frei zu machen, sagte Lindner. Die FDP habe die Situation für sich geklärt. „Das erwarten wir jetzt auch von der Union und ihrer Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer.“

Unter den Liberalen ist einstweilen die Erleichterung groß, dass Kemmerich nicht an seinem Amt festhalten will. Dass Christian Lindner nach Erfurt gereist ist, sei genau richtig gewesen, sagte Alexander Graf Lambsdorff unserer Redaktion. „Denn Thomas Kemmerich hat nun die einzig richtige Entscheidung getroffen und sich damit aus der Abhängigkeit von der AfD befreit“, sagte der Vizefraktionschef. „Ich gehe fest davon aus, dass der Bundesvorstand Christian Lindner am Freitag das Vertrauen aussprechen wird.“

Lindner will in FDP-Vorstand Vertrauensfrage stellen

weitere Videos

    Kemmerich habe erkennen müssen, dass eine Regierung der Mitte in Thüringen nicht möglich sei, sagte auch Marco Buschmann, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag, ebenfalls gegenüber unserer Redaktion. „Der Weg dahin war schmerzhaft, sein Rücktritt nun konsequent.“ Die Lage sei „emotional eskaliert“, so Buschmann. Es sei eine Frage der Fähigkeit von Demokraten untereinander, sich nicht spalten zu lassen durch taktische Züge der AfD.

    Thüringen-FDP spricht Kemmerich Vertrauen aus

    Die Thüringer FDP stellte sich am Donnerstagabend geschlossen hinter ihren Vorsitzenden. Der Landesvorstand sprach Kemmerich am Donnerstagabend einstimmig das Vertrauen aus, wie die Partei in Erfurt mitteilte.

    „Thomas ist unser Freund und bleibt selbstverständlich unser Vorsitzender“, erklärte der Thüringer FDP-Bundestagsabgeordnete Reginald Hanke. Der Vorstand zeigte sich erschüttert „über den organisierten Hass in Form von Massenmails und Drohbriefen, der den Liberalen derzeit entgegenschlägt“. „Eine Zusammenarbeit mit den extremen Rändern stand für die FDP-Fraktion nie zur Debatte“, erklärte Generalsekretär Robert-Martin Montag. „Die Extremisten dieses Landes versuchen, eine vernünftige Mitte nicht zuzulassen. Wir werden aber weiter für eine liberale Demokratie in Thüringen kämpfen.“

    Nicht alle Liberalen sind überzeugt, dass für die Partei mit Kemmerichs Rückzugsankündigung das Schlimmste vorbei ist. „Der Schaden ist da“, sagte Vorstandsmitglied und Bundestagsabgeordnete Strack-Zimmermann dem WDR. Was in den letzten 24 Stunden passiert sei, „wird uns auch nachhaltig beschäftigen“.

    Erfurt zieht wieder auf die Straßen

    weitere Videos