Berlin. Die Differenz zwischen Herstellerangaben und tatsächlichen Werten beim Spritverbrauch wächst. Justizminister Maas prüft Konsequenzen.

Es ist ein zunehmendes Ärgernis für Autokäufer: Der reale Spritverbrauch von neuen Pkw weicht immer mehr von den Herstellerangaben ab – und die Tricksereien werden seit Jahren dreister. Unabhängige Forscher haben jetzt 20 beliebte europäische Pkw-Modelle unter die Lupe genommen und erschreckende Ergebnisse zutage gefördert: Der reale Spritverbrauch lag bei den Neufahrzeugen des Baujahrs 2014 in der Spitze um 54 Prozent höher als offiziell behauptet – im Durchschnitt der Pkw lag die Differenz bei knapp 40 Prozent. Das ist der Kernbefund eines noch unveröffentlichten Berichts des unabhängigen Forschungsinstituts International Council on Clean Transportation (ICCT), der dieser Zeitung vorliegt.

Spitzenreiter bei den Abweichungen ist demnach Mercedes: Die Modelle der E-Klasse des Baujahrs 2014 schluckten laut Bericht 54 Prozent mehr Kraftstoff als vom Hersteller angegeben – am besten schnitt der Skoda Fabia ab, der im realen Betrieb aber immer noch 20 Prozent mehr Sprit braucht als angegeben.

Die renommierten Forscher, die schon den Anstoß zur Aufdeckung der VW-Dieselaffäre in den USA gegeben hatten, warnen vor Folgen für Umwelt und Verbraucher: Die Schummeleien gefährdeten nicht nur die Klimaziele, sie kosteten einen durchschnittlichen Autofahrer auch 450 Euro zusätzlich im Jahr wegen der höheren Tankrechnung.

Grünen-Politikerin wirft Autobauern Betrug vor

Die Politik ist von den realitätsfernen bis irreführenden Verbraucherinformationen alarmiert. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will Konsequenzen prüfen, wie er gegenüber dieser Zeitung ankündigte: „Wenn Herstellerangaben nicht die realen Verhältnisse abbilden, dann ist das nicht in Ordnung“, sagte Maas. Die Verbraucher müssten korrekt informiert werden. „Wir werden innerhalb der Bundesregierung darüber sprechen, wie wir hier zu klaren Lösungen kommen“, erklärte der Minister, der auch für Verbraucherschutz zuständig ist.

Die Vorsitzende des Bundestagsumweltausschusses, Bärbel Höhn (Grüne), warf den Herstellern „Betrug“ vor. Sie forderte, dass eine Bundesbehörde den von den Autobauern angegebenen Spritverbrauch mit eigenen Untersuchungen nachprüft – ähnlich wie in den USA die Umweltbehörde EPA die Herstellerangaben kontrolliere. „Momentan ist es im Endeffekt so, dass das Kraftfahrtbundesamt nur den Stempel unter die Herstellerangaben zum Spritverbrauch macht – die Behörde guckt mit dem Segen der Bundesregierung bei den Betrügereien der Autohersteller weg“, sagte Höhn dieser Zeitung.

Dass den im Labor ermittelten Spritverbrauchsangaben nicht zu trauen ist, wird von Experten seit Längerem beklagt. Doch neu ist das Ausmaß der Abweichungen zwischen Verkaufsprospekt und realem Fahrbetrieb. Im Jahr 2001 betrug die Differenz laut ICCT-Bericht noch acht Prozent, inzwischen liegt sie für neue Pkw in Europa bei durchschnittlich 40 Prozent. Hintergrund ist offenbar die Einführung strengerer EU-Grenzwerte für den Kohlendioxidausstoß und Spritverbrauch seit 2009.

Falschangaben haben zugenommen

Danach sei zwar der Verbrauch in den Herstellerangaben drastisch gesunken – in der Realität aber nur geringfügig oder gar nicht, so die ICCT-Forscher. Bei einem BMW der 5er-Serie zum Beispiel sei der Spritverbrauch seit 2009 offiziell um 17,6 Prozent gesunken, tatsächlich aber sogar um 0,9 Prozent gestiegen. Ein Audi A 6 benötigte demnach offiziell 20 Prozent weniger Kraftstoff als 2009, auf der Straße betrug die Reduzierung jedoch nur 3,8 Prozent.

„Die Falschangaben sind so gestiegen, weil die Autohersteller Strafzahlungen in Millionenhöhe entgehen wollten“, sagte die Grünen-Politikerin Höhn. „Statt die Fahrzeuge sparsamer und leichter zu machen, wurde nur auf dem Papier der Spritverbrauch reduziert. Für mich ist das Betrug.“

600.000 Daten wurden ausgewertet

Die Forscher werteten für ihren Bericht 600.000 Datensätze von Serienautos in Europa aus. Ihr Bericht verweist darauf, dass Autobauer vor allem zunehmend Schlupflöcher bei den Labortests ausnutzten: So werden Leichtlaufreifen verwendet oder spezielle Schmiermittel. Um den Luftwiderstand zu verringern, werden Spalten etwa an der Motorhaube verklebt.

Dringlichste Forderung der Forscher sind deshalb verbesserte Tests. Die von der EU ab 2017 geplanten Tests nach einem neuen WLTP-Standard würden zwar eine Verbesserung bringen – doch notwendig seien unabhängige Nachtests zufällig ausgewählter Serienfahrzeuge, wie es in den USA schon heute üblich sei.