Leipzig. Rechte sind durch die Flüchtlingskrise auf dem Vormarsch. Hooligans randalieren in Leipzig. Und die Polizei muss an ihre Grenzen gehen.

Die halbe Pizza liegt noch auf dem Tisch vor den zerschlagenen Fensterscheiben. Staub und Glassplitter haben sich über die Tomaten und den Käse gelegt. Die Spüle hinter dem Tresen ist zertrümmert, eine Lampe aus der Decke gerissen, Bänke umgeschmissen. Und der junge Ramy steht vor dem Absperrband der Polizei und sagt, er sei nur froh, dass niemand verletzt sei.

Dass alle leben.

Vermummte mit Eisenstangen stürmen Imbiss

Ramy ist der Sohn des Ladenbesitzers, ein kleiner arabischer Imbiss im Leipziger Stadtteil Connewitz. Es gibt hier Falafel und Döner, aber auch Sandwiches und Pizza. Einer der Mitarbeiter habe ihm erzählt, was passiert sei. Vermummte Schläger stiegen die Stufe hoch, kamen in den Laden, schmissen Steine durch die Scheiben, traten, schlugen mit Eisenstangen auf die Einrichtung. Alles ging verdammt schnell. Dann zogen sie weiter, zum nächsten Geschäft.

Ein paar Stunden ist das her. Ein Mann steht noch immer vor einer Billard-Kneipe ein paar Häuser weiter, er zeigt zwei Videos, die er mit seinem Handy aufgenommen hat. Erst sieht man eine Gruppe, 50 Meter entfernt, sie zünden Böller, schießen Pyrotechnik ab, dann klirrt Glas, man hört Rufe, Männer ziehen vorbei. Das Handy wackelt, die Aufnahme endet. „Wo wart ihr an Silvester?“, sollen die Männer gerufen haben. Und: „Lügenpresse“. Es habe etwa fünf Minuten gedauert, bis die Polizei vor Ort gewesen sei, erzählt der Mann. „Noch länger und ich weiß nicht, was hier noch alles passiert wäre.“

Der Angriff auf Connewitz war kein Zufall

Die Polizei spricht später von „schwerem Landfriedensbruch“. 211 Personen nimmt sie in Connewitz fest. Die Polizeiberichte passen zu den Zeugenaussagen und der Tat: Zahlreiche Festgenommene waren den Sicherheitsbehörden bereits als rechtsextreme Gewalttäter oder rechte Hooligans bekannt. Die Schläger trugen Szene-Kleidung, auch autonome Nationalisten waren unter ihnen.

Der Angriff auf den Stadtteil Connewitz war kein Zufall. Das Leipziger Viertel gilt als linksalternative Hochburg. Und Polizei und linke Szene waren zur Zeit des Überfalls abgelenkt. Denn ein paar Kilometer weiter hatte der Leipziger Pegida-Ableger „Legida“ in der Innenstadt demonstriert, mehr als 3000 Protestler des fremdenfeindlichen Bündnisses kamen zusammen. Auch auf der Legida-Kundgebung war der Anteil an Hooligans und autonomen Rechten hoch. Auf der Bühne redete unter anderem der Sänger der Hooligan-Band „Kategorie C“, Hannes Ostendorf.

Fast alle Extremisten gefasst

Gut 2000 Menschen demonstrierten gegen Legida. Die Polizei war nach eigenen Angaben mit 2000 bis 3000 Beamten im Einsatz. Der Mann vor der Kneipe sagt: „Die Polizei hat beim Angriff der Rechten entschlossen agiert.“ Nach eigenen Angaben hat sie fast alle Extremisten fassen können. Bereits im Vorfeld hatten Gruppen wie die Freie Kameradschaft Dresden für den Legida-Aufmarsch in Leipzig mobilisiert. Zudem hatte es Morddrohungen gegen den Grünen-Politiker Jürgen Kasek gegeben. Die Polizei hatte an dem Abend zusätzliche Beamte aus Dresden und anderen Städten vor Ort. Die Stimmung war aufgeheizt, da auch Linke dazu aufriefen, die Kundgebung von Legida zu „crashen“. Doch die Polizei konnte den überraschenden Angriff der Rechten abseits der Demonstrationsrouten nicht verhindern.

Die Zahl der fremdenfeindlichen Angriffe steigt stark an

Die Gewalt in Leipzig zeigt, wie stark die militante rechte Szene mit der Flüchtlingskrise an Schwung gewinnt – wie sehr sie den Weg zurück auf die Straßen sucht. Nicht nur in ostdeutschen Kleinstädten, sondern nun auch mitten in linken Vierteln der Großstädte. In Köln kommt es auf einer Pegida-Demonstration am Wochenende zu Ausschreitungen. Selbsternannte „Bürgerwehren“ patrouillieren nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht durch die Domstadt und gehen auf Ausländer los, mehrere Menschen werden verletzt.

Die Zahl der Demonstrationen durch Rechtsextreme oder mit zahlreichen Rechten hat im vergangenen Jahr stark zugenommen. Und auch fremdenfeindliche Übergriffe haben sich in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt. Flüchtlingsunterkünfte wurden bis Mitte Dezember 2015 insgesamt in 850 Fällen Ziel von Angriffen. Immer rückt die Polizei aus.

Gewalt bei Demos kommt nicht nur von rechts

Mit jedem friedlichen Protest gegen eine Asylunterkunft kommt oftmals der Gegenprotest. Auch hier endet es manchmal mit Gewalt, nicht nur von rechts. In Potsdam randalieren am Montagabend linke Autonome am Rande einer Pegida-Demonstration. Auch in Leipzig war es im Dezember bei einer Demonstration gegen einen Neonazi-Aufmarsch zu Ausschreitungen gekommen – maßgeblich betrieben durch linke Gewalttäter.

Einzelne Beamte, Gewerkschaften und Innenpolitiker beklagen den Druck auf die Polizei: Seit die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland so stark ansteigt, sind die Sicherheitsbehörden im Dauereinsatz. Bundespolizisten kontrollieren in der Grenzregion, Beamte sichern Flüchtlingseinrichtungen, greifen bei Demonstrationen ein. Brandenburg hat das mal ausgerechnet: Rund 400 Beamte sind dort nach Angaben der Behörden Tag für Tag mit der Flüchtlingssituation beschäftigt – etwa beim Objektschutz, bei Demonstrationen oder Auseinandersetzungen in Unterkünften. Bis Ende August 2015 wurde die Polizei in Nordrhein-Westfalen zu knapp 3000 Einsätzen in Flüchtlingseinrichtungen gerufen.

Gewerkschaft kritisiert Bundesregierung

Losgelöst von der Flüchtlingskrise sind laut Gewerkschaften neue Aufgabenfelder gewachsen: etwa der Kampf gegen Betrug im Internet. Doch: Seit 1998 sparte der Staat bundesweit laut Gewerkschaft der Polizei (GdP) 16.000 Stellen ein. „In der Flüchtlingskrise zeigt sich, wie überlastet die Polizei personell ist“, sagt der Vize-Vorsitzende der GdP, Jörg Radek, dieser Redaktion.

Nun – im Angesicht der dauerhaften Belastung – stellen Bund und auch die meisten Länder ein: Bayern abzüglich der in Rente gehenden Beamten 500 neue Kräfte in diesem Jahr. Hamburg 100 Stellen, 250 zusätzliche Polizisten in NRW. Doch Radek kritisiert: „Das Krisenmanagement der Bundesregierung ist sprunghaft und wenig nachhaltig. Das spüren die Polizisten nun. Dabei hatte die Bundespolizei schon im Juni neue Stellen angefordert.“ Doch nur ein Fünftel des Personalbedarfs sei vom Bund stattgegeben worden. „Erst im September, als die Krise sichtbar wurde, reagierte der Bund. Das ist keine weitsichtige Sicherheitspolitik.“