Berlin. Union und SPD haben sich auf ein Reformpaket zur Flexi-Rente geeinigt. Wer mit 63 in Teilrente geht, darf mehr Verdienst behalten.

Flexibler Übergang in die Rente statt starrer Altersgrenze: Arbeitnehmer haben bald attraktivere Möglichkeiten, auch im Rentenalter noch im Beruf zu bleiben – oder schon mit 63 Jahren in Teilrente zu gehen.

Die Große Koalition legte am Dienstag nach fast anderthalbjährigen Beratungen ein Reformpaket vor, das Beschäftigten voraussichtlich ab 1. Juli 2016 mehr Wahlfreiheit bieten soll. „Wir wollen mehr Arbeitnehmer ermutigen, länger in Beschäftigung zu bleiben“, sagte Unionssozialexperte Karl Schiewerling bei der Vorstellung der Koalitionspläne. „Längeres Arbeiten wird belohnt – und der Übergang in die Rente flexibler.“

Anlass der Reform war eigentlich die Einführung der Rente mit 63 im vergangenen Jahr. Die Union hatte damals auf Druck ihres Wirtschaftsflügels darauf bestanden, als Ergänzung längere Beschäftigung zu fördern. Weil die SPD auf der anderen Seite eine frühere Teilrente verbessern wollte, konnten sich die Fachleute der Koalition lange nicht einigen, zeitweise schien ein Scheitern nahe. Schiewerling räumte ein, es habe „orientalische Phasen der Auseinandersetzung“ gegeben. Herausgekommen ist nun ein Paket, das Anreize sowohl zu späterem als auch zu früherem Rentenübergang bietet. Darüber soll jetzt die Rentenversicherung die Versicherten regelmäßig genau informieren – mit Hinweisen, wie sich etwa ein späterer Rentenbeginn auszahlen würde.

• Arbeiten im Rentenalter: Wer über die Altersgrenze von aktuell 65 Jahren und 4 Monaten hinaus arbeitet, auch wenn er bereits Rente bezieht, soll finanziell stärker profitieren. Bisher war der Arbeitnehmer zwar von der Zahlung weiterer Rentenbeiträge verschont – die Arbeitgeber dagegen mussten den hälftigen Anteil der Rentenversicherung weiter zahlen, ohne dass dem Arbeitnehmer daraus noch Leistungsansprüche entstanden. Jetzt sollen die Zahlungen die Renten doch erhöhen, sofern auch der Beschäftigte in die Rentenkasse einzahlt. Beispiel: Bei einem Halbtagsjob mit 1300 Euro kann die Rente so um 200 Euro im Jahr aufgebessert werden. Zugleich werden Unternehmen entlastet, wenn sie Menschen über das Rentenalter hinaus beschäftigen: Die Verpflichtung, für diese Arbeitnehmer 1,5 Prozent des Lohns in die Arbeitslosenversicherung einzuzahlen, entfällt – befristet für die fünf Jahre. Die SPD hat wegen der jährlichen Kosten für die Arbeitslosenversicherung von 80 Millionen Euro Bedenken. SPD-Sozialexpertin Katja Mast nannte die Zustimmung ein Zeichen der Einigungsfähigkeit. Die SPD hofft auf Entgegenkommen bei der geplanten Reform der Leiharbeit.

• Teilrente: Wer ab 63 Jahren in Teilrente geht, soll mehr vom Zuverdienst zu den Altersbezügen behalten können. Bisher galt eine Zuverdienstgrenze von monatlich 450 Euro. Darüber hinaus wurde die Rente in Stufen um bis zu zwei Drittel gekürzt. Jetzt sollen oberhalb der 450-Euro-Grenze stufenlos 40 Prozent des Zuverdienstes abgezogen werden. Von 100 Euro Lohn bleiben also 60 Euro übrig. Nur Lohn, der das frühere Einkommen überschreitet, soll voll angerechnet werden. Ganz abschaffen will die Koalition die Verdienstgrenzen aus Furcht vor einer Frühverrentungswelle nicht. Das bisherige System hatte dazu geführt, dass kaum jemand die Teilrente nutzte – nur 2200 von jährlich 800.000 Neurentnern. Machen jetzt 100.000 Arbeitnehmer davon Gebrauch, würde die Rentenkasse mit jährlich 300 Millionen Euro belastet.

• Gesundheitsvorsorge: Um Arbeitnehmer länger für den Arbeitsmarkt fit zu halten, sollen Reha-Angebote und Vorbeugung gestärkt werden.

• Langzeitarbeitslose: Bisher konnten Betroffene vorzeitig und mit Abschlägen in die Rente geschickt werden. Auch wenn das bedeutete, dass sie dauerhaft auf Sozialhilfe im Alter angewiesen sind. Jetzt soll es den Zwang in vielen Fällen nicht mehr geben.

• Reaktionen: Wirtschaftsverbände begrüßten die Anreize zum längeren Arbeiten, klagten aber, die Wirkungen der Rente mit 63 würden damit nicht kompensiert. Der DGB warnte, durch den Wegfall des Arbeitslosenbeitrags für arbeitende Rentner werde „der Weg zum Billigarbeitsmarkt geöffnet“. Grünen-Sozialexperte Markus Kurth monierte, den besonders belasteten Beschäftigten würden beim Rentenübergang keine Angebote gemacht. Matthias Birkwald (Linke) erklärte, die Koalitionspläne seien eine „Rutschbahn in die Altersarmut“.