Berlin. Vor vier Jahren wurde die rechtsterroristische Mordserie aufgedeckt. Trotz umfangreicher Ermittlungen sind wichtige Fragen noch offen.

Es war ein Zufall, der die größte rechtsterroristische Terrorgruppe auffliegen ließ. Und es war Rentner Stutzke. Am Morgen des 4. November 2011 kam er aus dem Supermarkt in Eisenach, zwei Flaschen Wasser, Bananen, Brötchen in der Tüte, als er zwei Polizisten erzählte: Ja, er habe zwei Männer gesehen, wie sie Fahrräder in ein Wohnmobil luden und losfuhren. Dann wies der Mann den Beamten den Weg, den das Wohnmobil genommen hatte. Kurz darauf entdeckte eine Streife die Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Vier Jahre ist das her: Böhnhardt und Mundlos sollen sich noch im Wohnmobil umgebracht haben, Beate Zschäpe sitzt vor Gericht in München. Dem sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ werden zehn Morde, Anschläge, Banküberfälle zur Last gelegt. Noch in diesem Jahr soll ein zweiter Untersuchungsausschuss im Bundestag seine Arbeit aufnehmen. Nachdem es bereits einen Ausschuss im Bundestag und mehrere in den Bundesländern gab und 47 Maßnahmen für die Sicherheitsbehörden als Folge der NSU-Mordserie gesetzlich beschlossen wurden, werden Tausende Akten gewälzt, Zeugen befragt. Warum? Weil wichtige Fragen unbeantwortet sind.

Wie wählte der NSU die Opfer?

Vor allem eine Frage belastet die Angehörigen der Opfer bis heute: Warum mein Sohn? Meine Tochter? Mein Bruder? Klar ist nur: Sie alle passten als Migranten ins Schema rassistischer Morde. Alle arbeiteten in Geschäften oder waren selbst Unternehmer, Beispiele erfolgreicher Integration. Doch wie gezielt spionierten die Täter ihre Opfer aus? So hatte etwa ein Opfer überhaupt erst zwei Wochen vor dem Mord sein Geschäft eröffnet. Die mutmaßlichen Täter Böhnhardt und Mundlos fuhren immer mit einem Wohnmobil in Tatortnähe, dann mit Fahrrädern weiter. Eine These für die Auswahl der Opfer ist die Verkehrsanbindung, mit der sie schnell etwa wie in Hamburg vom Tatort zur Autobahn fahren und darüber fliehen konnten. Zudem mordete die Gruppe quer durch die Republik, von Rostock bis München. Womöglich, um vor den Landesbehörden die Zusammenhänge der Morde zu verschleiern. War der Rest Willkür? Oder gab es Helfer in jeder der sechs Tatstädte? Weiterhin ungeklärt bleibt auch, weshalb die Terroristen der Polizistin Michèle Kiesewetter und ihrem Kollegen auf einer Streife auflauerten. Der Verdacht, die Beamten hätten Kontakte in die Neonazi-Szene gehabt, konnte sich bisher nicht bestätigen. Neun Migranten, eine Polizistin – warum die Ausnahme?

War es wirklich nur ein Trio?

Die Gruppe um Zschäpe nannte sich nie selbst ein „Trio“. Der NSU sollte für jeden „Kameraden“ offenstehen. Viele Experten halten es für wenig wahrscheinlich, dass die drei Terroristen losgelöst von rechter Szene und Milieu agiert haben. Ein jahrelanges Leben im Untergrund braucht Helfer, davon gehen Experten aus. Etwa bei der Beschaffung der Waffen, bei der Miete der Wagen und der Wohnungen. Im NSU-Prozess in München sitzen Neonazis auf der Anklagebank, die teilweise bis zum Auffliegen der Gruppe Kontakt zu Zschäpe und Co. gehabt haben sollen. Der neue Untersuchungsausschuss soll auch Hinweise zu Verbindungen des NSU-Umfeldes in die organisierte Kriminalität untersuchen, die vor allem bei den Tatwaffen eine Rolle gespielt haben könnte. In der Zwickauer Wohnung der Gruppe fanden die Beamten ein ganzes Arsenal von Waffen, darunter auch eine Maschinenpistole.

Was wussten Geheimdienste?

Schon als das Trio 1998 abtauchte, war das Bundesamt für Verfassungsschutz in den Fall involviert, Kollegen aus dem Bund halfen etwa Ermittlern in Sachsen bei der Observation von Unterstützern der Gruppe. Erfolglos. Fast 15 Jahre blieb die Terrorgruppe unentdeckt. Bei der Aufklärung dieses Versagens der Sicherheitsbehörden wurde deutlich, dass Informanten des Verfassungsschutzes von Bund und Ländern tief in die Szene verstrickt waren und mit dem Geld der Behörden sogar Vereine aufbauten, in denen auch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt vor ihrem Untertauchen agierten. Ein Dutzend Männer aus dem Umfeld des NSU gaben laut „Spiegel“ den Behörden in den ersten Jahren nach dem Untertauchen Informationen über die Gruppe weiter.

Für ein Mitwissen der Geheimdienste an den Morden gibt es keine Belege. Es bleiben vor allem Pannen, Ignoranz und Fragen: Als in Hessen der Besitzer eines Internetcafés ermordet wurde, saß ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in dem Raum an einem der Computer. Nur Zufall, gibt er heute an. Mitbekommen haben will er auch nichts. Am Tag vor vier Jahren, als Zschäpe die Wohnung der Gruppe abbrannte, erhielt sie elf Anrufe. Alle kamen aus dem Innenministerium von Sachsen. Die Hintergründe sind unklar.