München. Das Gericht verzichtet auf Zeugen. Nicht mehr notwendig, heißt es. Lebenslang für Beate Zschäpe – oder ist das alles Teil eines Deals?

Es sind noch 27 Verhandlungstage allein in diesem Jahr im Münchener NSU-Prozess gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und mögliche Helfer. Ein Termin ist bereits für den Januar eingetragen. Und doch scheint sich ein Ende, wenn nicht gar eine Tendenz bei einer Verurteilung abzuzeichnen. Nach den Wirren der vergangenen Wochen mit dem Streit zwischen Zschäpe und ihren Anwälten, dem Fund von Prozessdaten auf einer Straße in Köln und einer möglicherweise gar nicht existierenden Nebenklägerin erheben sich Stimmen, die auf ein hartes Urteil hindeuten.

14-mal teilte das Gericht ihr in der abgelaufenen Woche verklausuliert mit, dass sie mit einem harten Urteil rechnen muss. „Volle Kanne“, wie ein Prozessbeteiligter am Rande einschätzte. Das hieße: Eine hohe Haftstrafe für die zehn NSU-Morde, möglicherweise lebenslänglich, vielleicht sogar mit Sicherungsverwahrung.

Richter macht Druck bei Nebenklägern

Deutlich wurde das am selben Prozesstag, an dem das Gericht die Affäre um eine zweifelhafte Nebenklägerin ins Rollen brachte. Richter Manfred Götzl setzte Nebenklage-Anwalt Ralph Willms aus Eschweiler mit bohrenden Nachfragen über den Aufenthalt seiner Mandantin unter Druck, die angeblich zu den Geschädigten des Bombenanschlags an der Kölner Keupstraße gehörte. Wenige Tage später ließ Willms, inzwischen selber anwaltlich vertreten, erklären, die Mandantin existiere wohl nicht und er selber sei Opfer einer Täuschung geworden. Zu den offenen Fragen gehört, warum er das erst nach zweieinhalb Jahren und mehr als 230 Verhandlungstagen bemerkte.

Beweise nicht notwendig für Entscheidungsfindung

Am selben Tag begann das Gericht aber auch damit, reihenweise Beweisanträge abzulehnen. Am Ende der letzten Verhandlungswoche waren es 14 Anträge, von denen der älteste schon vor zwei Jahren gestellt worden war. Die Begründung war immer dieselbe: Man brauche diese Beweise nicht mehr für die „Entscheidungsfindung“.

Da ging es etwa um die Herkunft zweier Tatwaffen. Ein Dortmunder Neonazi habe sich damit gebrüstet, er wisse, dass die Pistolen über Szene-Kanäle aus Belgien eingeschmuggelt geworden seien. Diesen Mann wollten mehrere Nebenkläger als Zeugen laden lassen. Das Gericht lehnte auch das ab, obwohl bei fast allen Tatwaffen ungeklärt ist, woher sie stammen. Für das Urteil gegen Zschäpe sei das nicht mehr von Belang, gab der Richter zu verstehen.

Warum stellte Zschäpe keine Befangenheitsanträge?

Das war schon für sich genommen bemerkenswert. Zahlreiche Prozessbeteiligte werteten Götzls Begründung als Anzeichen dafür, dass das Strafmaß mehr oder weniger feststehe. Bemerkenswert war aber auch, wie Zschäpe darauf reagierte – nämlich gar nicht. Dabei hätte sie mit einem Befangenheitsantrag kontern können, sagen Juristen, die an dem Prozess teilnehmen. Sie hätte dem Gericht vorwerfen können, es habe sein Urteil schon heimlich gefällt, obwohl die Beweisaufnahme noch gar nicht beendet ist.

Dass Zschäpe nicht reagierte, könnte wiederum an dem nach wie vor konfliktbeladenen Verhältnis zu drei ihrer insgesamt vier Verteidiger liegen. Ihre drei ursprünglichen Anwälte, Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm, wollte sie zuletzt vergangenen Sommer loswerden, was misslang. Als vierten Verteidiger teilte das Gericht ihr den Münchner Juristen Mathias Grasel zu.

Verhältnis zwischen Anwälten und Beate Zschäpe zerrüttet?

Als Richter Götzl jetzt die Serie der Beweisanträge ablehnte, da blickte Grasel, links neben Zschäpe sitzend, schweigend auf den Monitor seines Laptops. Einmal war aber zu sehen, wie Rechtsanwalt Wolfgang Stahl, rechts neben Zschäpe, sie ansprach. Sie wandte sich wortlos ab und antwortete nicht.

Überwiegend einig sind sich die Prozessbeteiligten, dass das Gericht mit der Ablehnung der Beweisanträge auch das Ende des NSU-Prozesses eingeläutet habe. Nächstes Frühjahr, so spekulieren manche, könnte das Urteil gesprochen werden. Bis dahin könnten die letzten, bereits geplanten Zeugen gehört und Beweismittel gesichtet sein. Anschließend stünden die Plädoyers auf der Tagesordnung. Auch die würden einige Zeit in Anspruch nehmen, denn auch die rund 80 Nebenkläger dürfen plädieren.

Rätsel: Will Beate Zschäpe auspacken?

Eine Unbekannte gibt es allerdings – wiederum Beate Zschäpe. Nach wie vor weiß kein Außenstehender, ob sie und ihr neuer Anwalt Grasel nicht doch eine Überraschung austüfteln. In einem ihrer Briefe an das Gericht hatte sie im Sommer in Aussicht gestellt, sie wolle „etwas“ sagen, sofern das Gericht ihr Grasel als vierten Anwalt zur Seite stellt.

Sollte das ein Deal gewesen sein: Das Gericht hätte sich daran gehalten. Zschäpe wäre am Zug. Und sollte sie reden, dann könnte sich der Prozess doch noch länger hinziehen. Das Gericht müsste dann ihre Aussagen überprüfen und dafür noch einmal Zeugen laden und Dokumente sichten, heißt es in Justizkreisen.