Berlin. Bundestag verabschiedet nach heftigem Schlagabtausch das Gesetz. Ab 2016 müssen Autofahrer eine Jahresvignette für Bundesfernstraßen kaufen.

Es begann im Bundestagswahlkampf 2013. Damals entwarf die CSU ihr Regierungsprogramm für den Bund. Darin schrieb sie ihr Verlangen nach einer „Pkw-Maut für Reisende aus dem Ausland auf deutschen Autobahnen“ fest. Aber die CSU schrieb nicht, dass kein einziger deutscher Autofahrer zusätzlich belastet werden dürfte. Dann kam am 22. September 2013 das TV-Duell. Da hielt SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück der Bundeskanzlerin vor, die CSU und mithin die ganze Union wollten deutsche Autofahrer durch eine Pkw-Maut schröpfen. Prompt erschrak Angela Merkel und sagte, dass es mit ihr keine Maut geben werde. Später schränkte die CDU-Vorsitzende ein, dass es keine zusätzlichen Belastungen deutscher Autofahrer geben werde.

Damit jedoch setzte Merkel bei der SPD Sabotagegedanken in Gang: Maut ohne Belastung für Deutsche? Geht nicht! Also musste es aus SPD-Sicht dann nach der Wahl so im Koalitionsvertrag stehen: Beschlossen wurde darin eine Maut mit der Bedingung, dass „kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute“. Damit war Merkel vom Schreckgespenst des zornigen deutschen Autofahrers erlöst. Und die SPD jubelte, weil sie glaubte, mit dieser Bedingung die Maut verhindert zu haben.

Aber dann wurde Alexander Dobrindt (CSU) Bundesverkehrsminister. Und was tat Dobrindt? Er erfüllte die Bedingung. Er lieferte der SPD und Merkel genau die Maut, die sie verlangt hatten. Das gelang ihm, weil er sich strikt an die Kfz-Steuer hielt. Nur bei ihr gibt es feststehende Beträge, die man eins zu eins mit der Maut verrechnen kann, damit „kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute“. Für die Autofahrer bedeutet dies nun Folgendes: Zum 1. Januar 2016 erhalten deutsche Autofahrer einen Bescheid über die neue Infrastrukturabgabe, die sich aus der Schadstoffklasse, dem Hubraum und der Art des Motors (Diesel oder Benzin) ergibt. Der durchschnittliche Preis beträgt 74 Euro, mehr als 130 Euro soll die Jahresvignette für kein Auto kosten.

Deutsche müssen eine Jahresvignette kaufen, um Bundesstraßen und Autobahnen nutzen zu dürfen. Wer nachweist, ein Jahr lang keine Bundesfernstraße befahren zu haben, kann eine Rückerstattung beantragen.

Für die Jahresvignette muss man dem Kraftfahrtbundesamt in Flensburg eine Lastschrifterlaubnis erteilen, woraufhin das Auto-Kennzeichen in einer elektronischen Datei erfasst wird. Konkret abgewickelt wird dies von einem privaten Betreiber, wofür es noch eine Ausschreibung geben muss. Als Vergütung für seine Dienste soll der Betreiber rund 160 Millionen Euro pro Jahr erhalten. Die Kontrolle übernimmt das Bundesamt für Güterverkehr. Bei Stichproben auf Autobahnen soll es prüfen, ob die erspähten Kennzeichen in der Maut-Datei erfasst sind. Der Datenschutz ist nach durchgängiger Expertenmeinung gewährleistet. Parallel werden neue Kfz-Steuerbescheide erstellt, in denen die Steuersätze um die jeweiligen Maut-Beträge gesenkt werden. Somit muss der für diese Steuer zuständige Zoll rund 42 Millionen neue Bescheide verschicken. Der Aufbau der Bürokratie soll laut Dobrindt einmalig 370 Millionen Euro kosten. Jahr für Jahr betragen die Verwaltungskosten 200 Millionen Euro.

3,7 Milliarden Euro mehr pro Jahr

Insgesamt einnehmen will Dobrindt durch die Maut 3,7 Milliarden Euro pro Jahr. Dieser Betrag soll zweckgebunden in den Haushalt des Verkehrsministeriums fließen. Allerdings sinken gleichzeitig die Verkehrsmittel aus dem Bundeshaushalt um drei Milliarden Euro, weil ja die Kfz-Steuer für Deutsche reduziert wird und mithin diese Einnahmen um drei Milliarden geringer werden.

Wirkliche Einnahmen entstehen nur aus dem Vignettenverkauf an Ausländer. Da sagt Dobrindt 700 Millionen Euro pro Jahr voraus. Hiervon sind aber die Verwaltungskosten von 200 Millionen abzuziehen. Somit bleiben nach Dobrindts Rechnung 500 Millionen Euro netto übrig. Allerdings werfen Verkehrswissenschaftler dem Minister vor, dass seine Prognose zu optimistisch sei, dass also Ausländer weniger zahlen werden.

Bei deren Preisen wird es vollends kompliziert: Würde eine Jahresvignette für das Auto eines Ausländers 70 Euro oder mehr kosten, dann sind für zehn Tage 15 Euro und für zwei Monate 30 Euro zu entrichten. Bei einem Jahresvignettenpreis zwischen 40 und 69 Euro müssen Ausländer für zehn Tage zehn Euro und für zwei Monate 22 Euro zahlen. Kostet die Jahresvignette aber weniger als 40 Euro, dann gibt’s zehn Tage für fünf Euro und zwei Monate für 16 Euro. Übrigens bleiben Kleinlaster und große Sprinter zwischen 3,5 und 7,49 Tonnen, also zwischen der Pkw-Maut und der Lkw-Maut, komplett befreit von der Abgabe. Bei Deutschen wie bei Ausländern.

Der SPD ist nicht ganz wohl bei der Sache. „Der Fanblock in der SPD für das Gesetzespaket ist überschaubar und im Grunde gar nicht vorhanden“, sagte die SPD-Haushalts- und Verkehrspolitikerin Bettina Hagedorn. Damit die SPD ihre Bauchschmerzen nicht allzu heftig verspürt, verabschiedete der Bundestag am Freitag noch einen Entschließungsantrag der Koalition. Demnach soll die Bundesregierung schon im Juli 2016 einen Gesetzentwurf zur Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ab 2018 beschließen. Außerdem ist in dem Antrag vermerkt, dass das Verkehrsministerium künftig 65 Prozent seiner Investitionsmittel in den Erhalt von Straßen, Schienen- und Wasserwegen stecken soll. Damit erhielte der Erhalt einen Vorrang vor dem Neubau.

Österreich und die Niederlande erwägen Klagen vor dem EuGH

Ungemildert bestehen bleiben jedoch die großen europarechtlichen Bedenken gegen das Gesetzespaket. Zahlreiche Juristen halten es für einen Verstoß gegen EU-Recht, dass für die Maut ausschließlich Ausländer zahlen müssen, während wegen der Kfz-Steuersenkung „kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute“. Wegen dieser in Europa einmaligen Regelung erwägen Österreich und die Niederlande Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Auch die EU-Kommission prüft eine Klage vor dem EuGH, ja, sogar die Möglichkeit, das Inkrafttreten des Gesetzespakets zum 1. Januar 2016 durch einen Antrag auf einstweilige Anordnung vorläufig zu verhindern.

Doch Dobrindt gibt sich siegesgewiss. „Sie ist europarechtskonform“, sagte der Minister über die Maut und fügte in Richtung Opposition hinzu: „Glauben Sie es endlich.“ Mit der Pkw-Maut verschiebe Deutschland nicht nur die Verkehrsfinanzierung „weg von der Steuerfinanzierung hin zur Nutzerfinanzierung“, sondern sorge durch die Einbeziehung der Ausländer auch „für Gerechtigkeit bei der Finanzierung unserer Straßen“. Hingegen beharrten Grüne und Linke auf der Überzeugung, dass dieses Gesetz schon bald vom EuGH kassiert werde. Die Grünen-Verkehrspolitikerin Valerie Wilms sagte: „Die Maut-Gesetze sind Rechtsbruch mit Ansage.“ Dobrindt, so Wilms weiter, werde sein „Lachen bald vergehen“.