Deutschland ist ein beliebtes Zuwanderungsland. Aber auch die Zahl der Auswanderer nähert sich Rekordniveau

Berlin. Im ersten Halbjahr 2014 zogen fast 670.000 Menschen in die Bundesrepublik, 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, wie das Statistische Bundesamt meldet. Allerdings bleiben die wenigsten für immer. Auch die Zahl der Fortzüge aus Deutschland steuert auf einen neuen Rekord zu: 427.000 Personen verließen in den sechs Monaten das Land. Fast ein Fünftel der Auswanderer sind Deutsche.

Da in den kommenden Jahren deutlich mehr Menschen in den Ruhestand gehen, als junge Leute auf dem Arbeitsmarkt nachrücken, ist Deutschland auf qualifizierte Zuwanderer angewiesen. Doch nur, wenn viele Migranten auch bleiben, ist der positive Effekt nachhaltig. Im Vergleich zu klassischen Einwanderungsländern wie den USA, Australien und Kanada hat Deutschland einen hohen Anteil an kurzzeitiger Migration. Die seit Wochen schwelende politische Debatte über ein Einwanderungsgesetz sollte sich deshalb nicht nur darum drehen, wie man für kluge Köpfe aus aller Welt attraktiver wird, sondern auch darum, wie man deren Abwanderung verhindert. Denn es dürfte leichter sein, einen ausländischen Uniabsolventen im Land zu halten, als einen indischen Ingenieur nach Deutschland zu holen.

Rund 700.000 Menschen pro Jahr kehrten der Bundesrepublik in den vergangenen zwei Jahrzehnten den Rücken. Wie der Migrationsbericht 2013 zeigt, handelt es sich bei drei von vier Rückkehrern um Staatsbürger anderer europäischer Länder. Jeder Zehnte ging nach Asien, acht Prozent der Fortzügler zog es nach Australien oder in die USA. Die Motive für das Verlassen Deutschlands sind vielfältig. Vor allem innerhalb der Europäischen Union dominiert die zirkuläre Arbeitsmigration: Die Menschen nutzen die hier geltende Arbeitnehmerfreizügigkeit und gehen dorthin, wo es Jobs gibt. Viele kommen von vornherein mit der Absicht, wieder nach Hause zurückzukehren, sobald sich in der Heimat die wirtschaftliche Lage günstig entwickelt. Und so stellen derzeit Polen und Rumänen sowohl unter den Zuwanderern als auch unter den Fortzüglern die größten Gruppen. Infolge der Wirtschaftskrise in Südeuropa kommen momentan auch aus Italien, Spanien und Griechenland viele Jobsuchende hierher, da der deutsche Arbeitsmarkt Chancen bietet. Aber auch die Abwanderung Richtung Südeuropa ist beträchtlich. Ein reges Kommen und Gehen findet überdies zwischen Russland und Deutschland statt.

Drei von vier Ausländern, die das Land wieder verlassen, hielten sich weniger als vier Jahre hier auf. Und jeder Zweite blieb sogar weniger als ein Jahr in der Bundesrepublik. Vor allem die Russen gehen im Regelfall rasch wieder zurück. Aber auch Inder, Japaner oder Amerikaner bleiben selten länger. Häufig ist der Ortswechsel vom Arbeitgeber veranlasst, der Auslandsaufenthalte veranlasst. Bei den fortziehenden Chinesen handelt es sich oft um Studierende oder Hochschulabsolventen. Gerade der Fortzug der hier ausgebildeten Akademiker könnte nach Ansicht vieler Experten durchaus verringert werden.

Doch nicht nur Ausländer verlassen das Land. Auch Deutsche zieht es in beträchtlicher Zahl in die Ferne. Da die deutsche Statistik keine Rubrik „Auswanderer“ kennt, lässt sich an den Fortzügen nicht erkennen, aus welchem Grund und für wie lange jemand die Bundesrepublik verlässt. Registriert wird die polizeiliche An- und Abmeldung. Somit werden auch Deutsche, die zum Studieren ins Ausland gehen, mitgezählt. Seit 1991 haben rund drei Millionen Deutsche der Bundesrepublik den Rücken gekehrt. Allein im vergangenen Jahr zogen mehr als 140.000 Bundesbürger fort. Mit fast 18 Prozent stellen die Deutschen damit die größte Gruppe unter den Auswanderern. Zwar kehrten umgekehrt 2013 rund 118.000 Deutsche zurück. Doch der Saldo war wie in allen Vorjahren auch 2013 negativ.

Die Deutschen zieht es am häufigsten in andere EU-Staaten. Jeder Zehnte geht in die USA. Beliebtestes Zielland aber ist die Schweiz, in die im vergangenen Jahr 21.000 Bundesbürger umzogen. Auch Österreich und Großbritannien locken viele Deutsche. Seit den 1990er-Jahren steigt auch die Zahl der Fortzüge von Deutschen in die Türkei. Hier handelt es sich in der Mehrzahl um Personen mit türkischen Wurzeln, die in der Türkei begehrte Arbeitskräfte sind, während sie hierzulande oft Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu finden. Insgesamt kommen inzwischen weniger Menschen aus der Türkei nach Deutschland, als in umgekehrte Richtung umziehen. Damit hat sich das Land, aus dem in der Vergangenheit die meisten Zuwanderer hierher zogen, zu einem Staat gewandelt, der gegenüber der Bundesrepublik einen beträchtlichen Wanderungsüberschuss erzielt. Dies gelingt ansonsten nur noch der Schweiz – die darauf allerdings gar keinen großen Wert legt. Die USA und Österreich weisen einen kleinen Wanderungsgewinn gegenüber Deutschland auf.

Wissenschaftler und Ärzte gelten als besonders mobil. Laut Bundesärztekammer verließen im vergangenen Jahr gut 3000 Mediziner das Land. Vor allem die Schweiz und Österreich, aber auch die USA locken den medizinischen Nachwuchs, während hierzulande vor einem wachsenden Ärztemangel gewarnt wird. Allerdings profitiert Deutschland wiederum vom Zuzug von Ärzten, die vor allem aus Osteuropa kommen. Für deutsche Forscher sind wegen der guten Arbeitsbedingungen die USA ein Magnet.