Vordenker der Partei der Euro-Kritiker gewinnt Machtkampf um Führungsstruktur – und strebt in die politische Mitte

Bremen. AfD-Gründer Bernd Lucke hat seine Macht in der Partei ausgebaut. Die 1700 Teilnehmer des AfD-Parteitags in Bremen folgten am Wochenende mit deutlicher Mehrheit Luckes Wunsch, die Alternative für Deutschland nur noch von einem Vorsitzenden führen zu lassen. Mit der bislang dreiköpfigen Spitze rechnete der Parteigründer ab: Deren Arbeit sei „stümperhaft“ gewesen. Die neue Führungsstruktur solle die AfD professioneller und schlagkräftiger machen.

Die Spannungen in der bisherigen Führung traten in Bremen offen zutage. In den zwei Jahren seit Gründung der Partei habe es dem Vorstand an Planung, Organisation und Kommunikation gemangelt, sagte Lucke. „Auch heute arbeitet der Bundesvorstand noch nicht besser.“ Die AfD sei „kein Kegelclub oder Karnickelzüchterverein, den man nebenberuflich führen kann“.

Parteiinterne Kritiker warfen Lucke vor, mit der Reform seine Machtstellung in der Partei ausbauen zu wollen. Ein Parteitagsredner attestierte ihm ein Streben nach „Alleinherrschaft“. Die bisherigen Co-Vorsitzenden Frauke Petry und Konrad Adam hatten sich Luckes Plänen nach anfänglicher Ablehnung gebeugt – auch, um den öffentlich ausgetragenen Streit zu beenden.

Geprägt waren die Debatten auf dem Parteitag zeitweise von erregten Wortwechseln und zahlreichen Geschäftsordnungsanträgen, mit denen Teilnehmer den Ablauf bremsten. Petry rief die Anwesenden zu „weniger lautstarken Äußerungen und ein bisschen mehr Respekt voreinander“ auf.

Lucke machte klar, dass er die Partei vom rechten Rand abgrenzen und in der politischen Mitte positionieren wolle. Der Erfolg der Partei sei „untrennbar verknüpft mit dem Ansehen, das die AfD in der Mitte der Gesellschaft genießt und nicht an ihren Rändern“. In der AfD gibt es aber einen starken nationalkonservativen Flügel, der die Partei mit kritischen Positionen zur Einwanderung profilieren will.

Absehbar ist, dass es in der AfD künftig deutlich weniger schrill zugehen wird. Nach dem Bremer Parteitag ist sie auf dem Weg, eine Normalo-Partei zu werden. Die Parteispitze ähnelt von ihrem Aufbau her künftig eher dem, was man aus der CDU kennt, der Lucke selbst mehr als 30 Jahre angehörte. Basisdemokratische Elemente wurden in der neuen Satzung etwas zurückgedrängt. Revolutionäre Ideen, wie etwa Mandatszeit-Beschränkungen zur „Bekämpfung des Berufspolitikertums“ kippten die Teilnehmer des Parteitags aus der neuen Satzung.

Manche Mitglieder fragen sich deshalb, was denn jetzt noch alternativ ist an der Alternative für Deutschland. Der Vorsitzende des AfD-Landesverbands in Nordrhein-Westfalen, Markus Pretzell, teilt diese Sorgen nicht – im Gegenteil. Pretzell missfällt es, wenn Lucke wieder einmal mit dem Argument „Es kann nur einen Häuptling geben“ Entscheidungen an sich reißt. Doch – und auch das hat der Parteitag in Bremen gezeigt – Lucke kommt mit seiner nüchternen Art gut an. Er hat im Moment knapp zwei Drittel der Basis hinter sich. Dagegen kommt weder Pretzell an noch die bei den AfDlern ebenfalls sehr populäre Co- und sächsische Landesvorsitzende Frauke Petry.

Sie sieht das pragmatisch – anders als einige der älteren Herren im Bundesvorstand. Petry kann damit leben, für einige Jahre die Nummer zwei oder drei zu sein. Deshalb ist auch sie froh, als die Satzung mit dem auf Lucke zugeschnittenen neuen Führungsmodell nach zwölf Stunden Debatte dann doch noch mit Zweidrittelmehrheit angenommen wird. Sie sagt: „Es wäre frustrierend gewesen, wenn das nicht durchgegangen wäre.“

Die etablierten Parteien, denen die AfD zuletzt bei den Landtagswahlen in drei östlichen Bundesländern Wähler abgenommen hatte, hätten sich dagegen freuen können, wenn sich die AfD mit einem gescheiterten Satzungsparteitag ein Eigentor geschossen hätte. Nun müssen sie sich wohl darauf einstellen, dass diese neue Partei des bürgerlichen Protests auch bei der Bundestagswahl 2017 eine Rolle spielen wird. Es sei denn, sie zerbricht vorher doch noch an ihren vielen ideologischen Widersprüchen.

Der Parteitag im April, bei dem der neue Vorstand gewählt und die Zahl der Vorsitzenden zunächst von drei auf zwei verkleinert wird, birgt zwar nicht allzu viel Konfliktpotenzial. Doch wenn die AfDler im November erneut zusammenkommen, um über ihr neues Parteiprogramm abzustimmen, steht neuer Zoff ins Haus. Dass dann die liberalen Datenschützer, die Law-and-Order-Freunde und die Verfechter der Mindestens-drei-Kinder-Familie aufeinander losgehen werden, ist ebenso vorhersehbar wie eine Eskalation des Streits über die Zuwanderung. Denn einige Parteimitglieder sehen Migration vor allem unter dem Kosten-Nutzen-Aspekt – „Wenn wir Ärzte brauchen, deren Kinder unsere Renten mitbezahlen sollen, können wir keine Stahlarbeiter mit Jahresverträgen ins Land holen“. Andere sind dagegen vor allem in die Partei eingetreten, um ein multikulturelles Deutschland zu verhindern.

Einigkeit gibt es nur in zwei Punkten: „Die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung war falsch“ und „Die Political Correctness nimmt uns die Luft zum Atmen“. Zudem würde vermutlich die große Mehrheit der AfD-Mitglieder sich selbst als „wertkonservativ“ bezeichnen. Doch auch da gibt es Ausnahmen. Unter den vielen persönlichen Internet-Hotspots, die von den Teilnehmern des Parteitags benutzt wurden, war auch einer mit dem Namen „Swingerclub Lanzarote“.