Kanzlerin Angela Merkel zitiert beim Besuch des türkischen Regierungschefs den früheren Bundespräsidenten Wulff

Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat im Rahmen des Besuchs des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu in Berlin klar zum Ausdruck gebracht, dass der Islam für sie zur Bundesrepublik gehört. Dabei zitierte sie den bekannten Ausspruch von Ex-Bundespräsident Christian Wulff aus dem Jahr 2010. Wörtlich sagte Merkel: „Der frühere Bundespräsident Wulff hat gesagt, der Islam gehört zu Deutschland. Das ist so. Dieser Meinung bin ich auch.“

Merkel sagte auf der Pressekonferenz nach ihrem Treffen mit Davutoglu: „Ich bin die Bundeskanzlerin aller Deutschen. Das schließt alle, die hier dauerhaft leben, mit ein, egal welchen Ursprungs und welcher Herkunft sie sind.“ Es gelte, alles zu tun, damit die Integration gelinge. Unabhängig von der Religion seien alle herzlich willkommen, die sich zu den deutschen Gesetzen bekennen würden und auch Sprachkenntnisse hätten. Es gebe noch viel Unkenntnis und daher sicherlich eine Notwendigkeit, den Dialog zwischen den Religionen zu verstärken. Sie sei dankbar, dass die Muslime in Deutschland selbst eine Trennlinie zögen und sagten, „wo Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung genutzt wird, dort sagen wir ein sehr klares Nein“.

Davutoglu wehrte sich gegen Vorwürfe, im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus zu wenig zu unternehmen. „Man sollte die Türkei nicht in ungerechtfertigter Weise beschuldigen. Das werden wir nicht akzeptieren“, sagte er. Deutsche und türkische Behörden arbeiteten eng zusammen. Sein Land sei weiterhin zu „jeder nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit“ bereit.

Davutoglu bestätigte, dass die gesuchte Freundin eines der Attentäter von Paris – Hayat Boumeddiene – mehrere Tage vor den Anschlägen in die Türkei eingereist sei. Die Frau kam nach seinen Angaben mit einem Flugzeug aus Madrid. Unklar sei, wo sie sich zuvor aufgehalten habe. Nach Informationen des türkischen Außenministerium reiste die Frau bereits am 2. Januar in die Türkei. Inzwischen soll sie in Syrien sein. Davutoglu wies eine Mitverantwortung der Türkei für die Flucht der mutmaßlichen Komplizin des islamistischen Attentäters entschieden zurück. Auch Spanien werde keine Schuld zugewiesen, nur weil die Frau über Madrid gereist sei. Die Türkei habe unter dem Bürgerkrieg in Syrien am meisten zu leiden, weil sie bereits eineinhalb Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufgenommen habe und die 900 Kilometer lange Grenze nur schwer zu schützen sei.

Wie Merkel betonte Davutoglu, die Sicherheitsdienste der EU-Partner und der Türkei sollten enger zusammenarbeiten. Merkel bezeichnete die Türkei im Kampf gegen den Terrorismus als „Verbündeten“. „Wir handeln gemeinsam. Wir haben manchmal unterschiedliche Nuancen in Auffassungen. Aber das bringt uns nicht davon ab, dass wir Seite an Seite gegen den Terrorismus stehen.“

Davutoglu bat Deutschland auch um weitere Unterstützung bei den Bemühungen seines Landes um einen Beitritt zur Europäischen Union (EU). Bei seinem ersten Besuch in Deutschland äußerte Davutoglu die Hoffnung, dass die Türkei „eines Tages“ auch der EU beitreten könne. „Das wird auch eine sehr gute Antwort für die sein, die Europa spalten wollen.“ Die Türkei ist bereits seit 1999 Beitrittskandidat zur Europäischen Union. Die Verhandlungen gehen äußerst schleppend voran.

Widerstände in Europa gegen das EU-Streben der Türkei bilden nach Einschätzung des türkischen Ministerpräsidenten einen Grund für radikalislamische Gewalttaten wie die Terroranschläge von Paris. Das Ausmaß der derzeitigen „kulturellen Spannungen“ hätte vermindert werden können, wenn es in den vergangenen Jahren keine Hürden für den türkischen EU-Beitrittswunsch gegeben hätte, sagte Davutoglu laut türkischen Presseberichten vom Montag. Davutoglu hatte am Vortag in Paris am Trauermarsch für die Opfer der Terroranschläge teilgenommen.

Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz wies die Äußerungen Davutoglus zurück. Die Stagnation im Verhandlungsprozess zwischen der EU und der Türkei beruhe auch darauf, dass die Reformanstrengungen Ankaras „seit einigen Jahren nahezu zum Erliegen gekommen“ seien, sagte Polenz dem Berliner „Tagesspiegel“ (Dienstagausgabe). „Jeder soll zunächst vor seiner eigenen Tür kehren“, so der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. Polenz sagte weiter, die türkische Opposition sei wegen einer Islamisierung des Landes besorgt.

Davutoglu sagte in Anspielung auf die Türkei-Skepsis bei europäischen Politikern und auf die Erfolge rechtspopulistischer Parteien in der EU, die „Wurzel des Problems“ liege darin, dass in Europa Politik mit dem Nein zur Türkei gemacht werde. „Hetze“ gegen andere Kulturen in Europa habe zur Radikalisierung muslimischer Jugendlicher beigetragen, so der türkische Regierungschef. Die Attentäter von Paris seien nicht in muslimischen Ländern aufgewachsen, sondern in Frankreich.

Ex-Bundespräsident Wulff traf sich unterdessen zu einem Spendenessen mit Muslimen in Hannover. Damit machte Wulff am Montag auf die bundesweite Aktion „Speisen für Waisen“ aufmerksam. Organisator ist die Hilfsorganisation Islamic Relief Deutschland, die mit den Geldern in diesem Jahr traumatisierte Kinder in palästinensischen Gebieten unterstützt. Den Initiatoren geht es auch um einen interreligiösen Dialog. Die Verständigung zwischen Christen und Muslimen lag Wulff schon als Bundespräsident am Herzen.