Unionsparteien verlangen Vorratsdatenspeicherung. SPD spricht von „purem Aktionismus“

Berlin . Der verheerende Mordanschlag von Paris hat den Streit über schärfere Gesetze zur Terrorabwehr in Deutschland wieder voll entfacht – auch innerhalb der Großen Koalition. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) unterstützte am Freitag einen Vorstoß der CSU, die Vorratsdatenspeicherung – eine systematische Speicherung von Telefon- und Internetdaten der Bürger – wieder zu erlauben. Sein Justiz-Kabinettskollege Heiko Maas (SPD) hält davon gar nichts: „Purer Aktionismus stoppt keine Terroristen.“ Auch SPD, Grüne und Linke sind gegen eine Neuauflage.

Der Vorschlag sei nicht neu und keine Reaktion auf das Attentat gegen „Charlie Hebdo“, betonte de Maizière bei der Winterklausur der Bundestags-CSU in Kreuth. Aber: „Der Anschlag von Paris unterstreicht hier die Dringlichkeit. Wir halten eine verfassungsgemäße und europarechtskonforme Regelung für nötig und geboten.“

Innen- und Rechtsexperten der CSU-Bundestagsgruppe hatten zuvor zudem mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden und eine Verschärfung des Strafgesetzbuches gefordert. Maas entgegnete: „Wir dürfen den Terroristen nicht in die Falle tappen. Eine Einschränkung von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit ist genau das, was sie bewirken wollen.“ Der Minister wies darauf hin, dass Neuregelungen gegen die Finanzhilfe für und die Ausbildung von Terroristen im Ausland schon geplant seien. Ein Maas-Sprecher bekräftigte, das Ministerium sehe keinen Anlass für eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung.

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hält eine umfassende Überprüfung der Terrorabwehr in Deutschland für nötig. Zugleich warnte der CSU-Chef am Freitag vor Aktionismus: „Natürlich müssen wir auch hierzulande überlegen, was wir noch zur Erhöhung des Schutzes unserer Bevölkerung tun können. Und das sollten wir zwar zügig, aber mit Besonnenheit und vor allem auch Klugheit machen.“

In Deutschland gibt es keine gesetzliche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung, seit das Bundesverfassungsgericht die Vorgaben 2010 gekippt hatte. Union und SPD vereinbarten zwar im Koalitionsvertrag, das Instrument wieder einzuführen. Die Pläne liegen aber auf Eis, seit der Europäische Gerichtshof im vergangenen Jahr auch ein EU-Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gekippt hatte.

Innenminister de Maizière will als Reaktion auf die Pariser Morde einen derzeit gestoppten EU-Richtlinienvorschlag erneut vorantreiben: Darin geht es um die Pflicht, Fluggastdaten zu erheben – das soll den Behörden ermöglichen, die Passagiernamen auf Flügen aus bestimmten Regionen nach Europa vorab mit Fahndungslisten abzugleichen. Das Europaparlament hatte das Vorhaben zunächst gestoppt. „Wir brauchen diesen Abgleich der Fluggastdaten“, sagte der Minister dem „Spiegel“.

Die SPD brachte eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der deutschen Sicherheitsbehörden ins Gespräch. Diese müssten in der Lage sein, Terrorverdächtigen „24 Stunden auf den Füßen zu stehen“, sagte Fraktionschef Thomas Oppermann am Freitag zum Abschluss einer Klausurtagung der 193 Abgeordneten. Entscheidend sei, den Fahndungs- und Überwachungsdruck dauerhaft zu erhöhen. Die Obfrau der Grünen im Bundestags-Innenausschuss, Irene Mihalic, sagte: „Die Vorratsdatenspeicherung jetzt zu fordern ist nicht zielführend, sondern eine Instrumentalisierung der Ereignisse.“

Vizekanzler Gabriel ruft zum „Aufstand der Anständigen“ auf

Mit einem neuen „Aufstand der Anständigen“ wollen Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Verbände auf den Terroranschlag von Paris reagieren. „Der perfide Plan von Terroristen, einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben, darf nicht aufgehen“, schrieb SPD-Chef Sigmar Gabriel in einem Aufruf, mit dem er den Koalitionspartner Union aber überrumpelte.

So erklärte CSU-Chef Seehofer, er habe mit CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel über Gabriels Vorstoß gesprochen. Die CSU werde erst am Montag bekannt geben, ob sie bei der Großkundgebung mitmacht. Die CDU aber zeigte sich bereit für eine Teilnahme an einer Solidaritätskundgebung in der Art, wie sie Gabriel vorgeschlagen habe. „Ganz Deutschland zeigt sich dieser Tage solidarisch mit unseren französischen Nachbarn und Freunden“, hieß es bei den Christdemokraten, die aber noch im Bundesvorstand beraten wollte. Grüne und Linke kündigten ebenfalls ihre Unterstützung an. Aber auch dort gab es Kritik, Gabriel habe sich mit einem Alleingang profilieren wollen.

Mit der Kundgebung soll auch ein Zeichen gegen die Anti-Islam-Bewegung Pegida und die rechtskonservative Alternative für Deutschland (AfD) gesetzt werden. Ihnen wird vorgeworfen, aus der Ermordung der „Charlie Hebdo“-Journalisten durch Islamisten Kapital schlagen zu wollen. Gabriel verurteilte den Versuch, „diese grausamen Taten nun als Bestätigung von Ressentiments etwa gegenüber Flüchtlingen oder gegenüber dem Islam zu missbrauchen“. Wann und in welcher Form die Demonstration für Demokratie und Toleranz in Berlin stattfinden soll, ist noch offen. Gabriel sprach von einigen Tagen Vorbereitungszeit.