Die Zahl der Fälle wächst stark, in denen Gemeinden Flüchtlingen Zuflucht gewähren. Das soll jetzt erschwert werden

Berlin. Ein Schreibtisch, ein Schrank, ein Hochbett – für mehr ist in dem kleinen Zimmer von Ahmed Husseini kein Platz. Immerhin verbreitet eine kleine Pyramide etwas Weihnachtsflair. Für den Mittzwanziger aus Afghanistan ist der karge Raum die letzte Chance, doch in Deutschland bleiben zu können. Eigentlich sollte er nach Bulgarien abgeschoben werden – das EU-Land, in dem er zuerst als Flüchtling registriert wurde. Doch die Gemeinde in Jena bot ihm Kirchenasyl. Seit August ist das Zimmer seine Zuflucht. Fernab von Frau und Kindern, die er im Iran zurücklassen musste.

Kirchengemeinden in Deutschland bieten wieder häufiger Flüchtlingen, die von Abschiebung bedroht sind, Schutz – und stoßen damit auf wachsende Kritik. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) fragte jüngst, mit welcher Legitimation sich Kirchen in einem Rechtsstaat über Verwaltung und Gerichte stellen.

Und Unionsfraktionschef Volker Kauder konstatiert in einem Interview der Zeitung „Die Welt“ zwar, das Motiv der Kirchenasyl gewährenden Christen sei ehrenwert. Zugleich betont er aber: „Wir leben in einem Rechtsstaat. Der Staat sollte nicht daran gehindert werden, einen abgelehnten Asylbewerber abzuschieben. Deswegen halte ich Kirchenasyl für eine höchst problematische Sache.“

Inzwischen erwägen Behörden, die Bedingungen für ein Kirchenasyl zu erschweren. In der Kritik stehen vor allem jene Fälle, in denen Ausländer vor einer Abschiebung in ein anderes EU-Land geschützt werden – wie Ahmed Husseini. Bislang haben diese Menschen nur dann Aussicht auf Asyl, wenn sie sich eine längere Zeit in Deutschland aufhalten. Das Bundesinnenministerium prüft nun, ob Ausländer in einem Kirchenasyl als „flüchtig“ anzusehen sind. Die Folge: Der Zeitraum, innerhalb dessen Betroffene in ein anderes EU-Land abgeschoben werden können, würde sich von sechs auf achtzehn Monate verlängern.

Für die Gemeinden wäre das eine erhebliche Bürde, denn das Kirchenasyl ist oft ein finanzieller und organisatorischer Kraftakt. In Jena kümmert sich ein Unterstützerkreis von gut einem Dutzend Männern und Frauen um Husseini, der nicht wirklich so heißt, aber zu seinem Schutz seinen Namen nicht öffentlich preisgeben will. Die Helfer gehen für ihn einkaufen, begleiten ihn zum Arzt und organisieren Deutschstunden, sagt Pfarrer Gotthard Lemke. Zudem werden Spenden für Kleidung, Taschengeld und Lebensmittel gesammelt – vom Staat gebe es keine Hilfe, sagt Lemke.

Kirchenasyl wird zumeist solchen Flüchtlingen gewährt, denen durch eine Abschiebung eine Gefahr für Leib und Leben oder andere besondere Härten drohen. Untergebracht werden die Menschen in Kirchen, Pfarr- oder Gemeindehäusern. Zumeist wird damit eine Wiederaufnahme oder erneute Prüfung des Asylverfahrens bezweckt. Um einem Flüchtling Kirchenasyl zu gewähren, bedarf es eines Beschlusses durch die Gemeindeleitung. Dann werden in der Regel auch die Ausländerbehörden informiert.

Den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, ärgert die wieder aufgeflammte Kritik am Kirchenasyl. „Die Debatte geht in die falsche Richtung und ist nicht hilfreich“, klagt der bayerische Landesbischof. „Das eigentliche Problem ist die Frage, wie wir die Flüchtlinge menschenwürdig unterbringen und die Verfahren beschleunigen, damit die Menschen nicht so lange in Ungewissheit gelassen werden.“ Die Kirche folge mit dem Kirchenasyl einer alten humanitären Tradition. „Es geht hier um Härtefälle, die vom Asylrecht nie vollständig erfasst werden können.“

Die Zahl der Kirchenasyle stieg seit Anfang des Jahres von 34 auf 190

Als Angehöriger einer ethnischen Minderheit bangte Husseini in der Heimat um sein Leben und das seiner Kinder. So wie er es schildert, flüchtete er zunächst mit seiner Familie in den Iran und von dort schweren Herzens allein weiter nach Europa. Später will er seine Familie nachholen. Schlepper hätten versprochen, ihn bis nach Österreich zu bringen, erzählt er. Doch dann sei er in Bulgarien gestrandet, wo Behörden seinen Fingerabdruck speicherten.

Mindestens 357 Menschen, davon 119 Kinder, leben nach Angaben der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ derzeit in 190 Kirchenasylen bundesweit. Zu Jahresbeginn waren es erst 34 Asyle mit 62 Flüchtlingen. Zugleich ist die Zahl der Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen, rapide gestiegen: Bis zum Jahresende erwarten die Behörden insgesamt mehr als 200.000 Menschen.

Angesichts dieser Zahlen will Bischof Bedford-Strohm nichts von einem angeblich inflationären Gebrauch des Kirchenasyls wissen. Auch bei der Deutschen Bischofskonferenz heißt es, Kirchenasyl sei kein Massenphänomen – „und kann es seiner Natur nach auch nicht sein“. Vielmehr gehe es um eine Gewissensentscheidung, wenn eine Abschiebung nachvollziehbar Gefahren für Leib und Leben oder menschenunwürdige Zustände befürchten lasse.

Zunächst werde immer versucht, gemeinsam mit den Behörden eine andere Lösung als die Abschiebung zu finden. „Gemeinden, die nach sorgfältiger Prüfung Kirchenasyl gewähren, stellen sich also nicht über das Gesetz, sondern tragen dazu bei, den Menschenrechten zu ihrer Geltung zu verhelfen.“ Darauf legt auch Pfarrer Lemke in Jena Wert. „Was hier geschieht, ist alles im Rahmen der Gesetze“, stellt König klar. „Wir tragen dazu bei, dass die bestehende Asylpolitik so ausgelegt wird, dass sie Flüchtlingen zugutekommt.“