Auf dem Bundesparteitag in Köln droht eine Machtprobe mit Wirtschaftsflügel über die kalte Progression. Kampfkandidaturen für Präsidium

Berlin. Eigentlich kann Bundeskanzlerin Angela Merkel dem CDU-Kreisverband Frankfurt dankbar sein: Denn der Antrag über ein Burka-Verbot bringt ein Thema auf die Agenda des CDU-Bundesparteitags in Köln diese Woche, das sich prima zur Ablenkung eignet. Über ein Verbot der Vollverschleierung von Frauen in der Öffentlichkeit, das es in Frankreich schon gibt, lässt sich lange und mit medialer Aufmerksamkeit streiten – ohne dass ein Beschluss die Handlungsfreiheit der Kanzlerin in der Großen Koalition beeinträchtigen würde. Denn wesentlich unangenehmer wäre es für die Parteispitze, wenn der Streit über eine Reform der kalten Progression oder über die Besetzung des Präsidiums die Berichterstattung dominieren würde.

Ein Jahr nach den selbst für Merkel überraschenden 41,5 Prozent für die Union bei der Bundestagswahl ist der 27. CDU-Parteitag eigentlich nicht als Einschnitt gedacht. Ziel ist eine vorsichtige Neujustierung des Profils vor allem in der Wirtschafts- und Innenpolitik – ohne dass dadurch die Statik in der Großen Koalition gestört werden soll. Und auch für den neuen CDU-Generalsekretär Peter Tauber ist der Parteitag eher ein Zwischenschritt auf dem Weg, die CDU bis zur nächsten Bundestagswahl 2017 moderner aufzustellen. Ziel sei, die CDU als „Volkspartei der Mitte“ zu stärken, sagte er am Freitag.

Zwei Dinge stören diese Mittelfristplanung. Erstens stehen am Dienstag Neuwahlen für die Führungsgremien der Partei an. Dabei ist es keine Frage, ob Merkel wieder zur CDU-Chefin gewählt wird. Die Frage ist, wie nah sie an ein 100-Prozent-Ergebnis kommt. Nur ein Vorsitzender in der Geschichte der CDU hat das jemals geschafft. Ihr Mitbegründer, Erster Vorsitzender und der erste Bundeskanzler, Konrad Adenauer. Dreimal hintereinander – 1954, 1956 und 1958 – bestätigten die Delegierten ihn mit 100 Prozent im Amt des Parteichefs. Weil im Präsidium aber acht Kandidaten für nur sieben Plätze antreten, besteht aus Sicht der Parteiführung die Gefahr, dass die Niederlage einiger Kandidaten als Richtungsentscheidung der Partei gedeutet werden könnte. So könnte etwa ein Scheitern des 34-jährigen Jens Spahn als Absage an eine personelle Erneuerung und Niederlage des ihn unterstützenden Wirtschaftsflügels gedeutet werden.

Zweitens ist völlig offen, ob es in Köln eine offene Feldschlacht über die kalte Progression, also eine Korrektur im Einkommenssteuersystem, geben wird. Den Effekt, dass ein Arbeitnehmer bei einer Gehaltssteigerung in Höhe des Inflationsausgleichs in eine höhere Steuerklasse rutscht und unterm Strich weniger im Portemonnaie hat, wollen eigentlich alle in der CDU abschaffen. Das zumindest hat die Partei seit 1994 immer wieder in Beschlüssen gefordert. Bis zu den abschließenden Gremiensitzungen am Montag soll nun versucht werden, eine Einigung zu finden. Doch einfach werde dies nicht, räumen alle Seiten ein. Mittelstandsvereinigung MIT, die Junge Union und der Arbeitnehmerflügel CDA dringen gemeinsam auf eine bereits 2017 finanziell wirksame Entlastung der Arbeitnehmer. Die Parteispitze will dagegen nur einen unverbindlichen Beschluss, weil vor allem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit Blick auf die schwarze Null jede finanziellen Festlegungen scheut. Wie wichtig das Thema vielen Delegierten aber ist, zeigen 19 verschiedene Anträge aus fast 70 Kreisverbänden oder Parteiorganisationen. Die CDU müsse unbedingt als Partei der Steuerkorrekturen wahrgenommen werden, fordert MIT-Chef Carsten Linnemann.

Parteichefin Merkel bringt dies in eine schwierige Lage: Einerseits wollen auch sie und Fraktionschef Volker Kauder das wirtschaftspolitische Profil der Partei schärfen, weshalb im Entwurf für die Wirtschaftspolitik sogar strittige Themen wie Fracking oder grüne Gentechnik angesprochen werden. Denn nach einem Jahr Regierung mit der SPD kritisiert die Wirtschaft immer lauter, dass die Große Koalition vor allem Belastungen für Firmen beschließe – und das in einer abflauenden Konjunktur.

Andererseits will die Parteiführung verhindern, dass der angesehene Finanzminister einfach überstimmt wird. Zudem sind auch die wenigen verbliebenen CDU-Ministerpräsidenten wie Volker Bouffier (Hessen) nicht von einer Korrektur der kalten Progression noch in dieser Legislaturperiode begeistert, weil die Länder dies mitfinanzieren müssten. Auch der gewaltbereite Islamismus in In- und Ausland und religiöser Extremismus beschäftigen die CDU. Der Bundesvorstand will nach Ausschreitungen zwischen Jesiden und Muslimen sowie den anti-islamistischen Demos rechtsradikaler Hooligans die CDU in einem Antrag als Partei der inneren Sicherheit präsentieren. Kein Thema auf dem Parteitag soll die AfD sein, die auch der CDU bei den vergangenen Wahlen Stimmen abgenommen hatte.

Köln soll zudem eine Art Probelauf für neue Formen von Parteitagen und Mitgliederbeteiligungen werden, die Tauber ausprobiert. Seit Monaten arbeitet er an einer stärkeren Öffnung der Partei etwa für Migranten, aber auch Lesben und Schwule. Die Vielfalt des „U“ im Parteinamen, also der Union, müsse gestärkt werden, hatte er als Ziel ausgegeben. Also soll in Köln das Plenum mit den gut 1000 Delegierten unterbrochen werden, damit dann in kleineren Foren über Themen wie die Zukunft der Arbeit diskutiert werden kann – auch mit externen Gästen wie dem Arzt und Komiker Eckart von Hirschhausen.