Sigmar Gabriel profiliert sich in der Rüstungspolitik, Ursula von der Leyen plagt sich mit den Pannen bei der Bundeswehr

Berlin. Kompliziert, so lässt sich das Verhältnis von Ursula von der Leyen (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD) beschreiben. Beide gehören derzeit einer Regierung an. Beide blicken aber auch über die laufende Legislaturperiode hinaus: Bei der Bundestagswahl 2017 werden sie sich als Rivalen gegenüberstehen, möglicherweise sogar als Kanzlerkandidaten ihrer Parteien. Gabriel hat als SPD-Chef und amtierender Vize-Kanzler das natürliche Zugriffsrecht auf diese Position. Bei von der Leyen ist das weniger klar: Ihre Zukunft hängt davon ab, ob Angela Merkel über 2017 hinaus als Kanzlerin weitermachen wird – und, falls nicht, ob die Verteidigungsministerin in der CDU genügend Rückhalt als Nachfolgerin finden würde. Den nötigen Ehrgeiz für das höchste Regierungsamt hat sie zweifellos.

Gabriel nimmt von der Leyen jedenfalls als Konkurrentin wahr. Jüngst ließ der Wirtschaftsminister eine Anekdote aus einer Sitzung der SPD-Fraktion verbreiten, in der er sich über die Selbstinszenierung seiner Kabinettskollegin mokierte: Selbst wenn von der Leyen im Kopierraum des Bendlerblocks stehe, lästerte er, schaue sie in die Ferne und lasse sich dabei ablichten. Gabriel spielte damit auf ein Foto an, das die Ministerin in dramatischer Pose vor einem Transall-Flugzeug der Bundeswehr zeigte, das Hilfslieferungen in den Irak flog. „Mir fällt bei Sigmar Gabriel auf, dass er keine inhaltliche Kritik hat“, konterte von der Leyen. „Wenn er auf diese Ebene geht, wird das seinen Grund haben.“

Hat es. Es geht darum, die Rivalin im Zaum zu halten. Dabei belässt es Gabriel auch keineswegs bei persönlicher Kritik. Er sucht auch die inhaltliche Auseinandersetzung. Die Arena dafür ist die Rüstungsexportpolitik, in der sich die Zuständigkeiten der beiden Minister überschneiden. Von der Leyen konnte sich auf diesem Themenfeld noch nicht sonderlich profilieren, es gab genügend andere Aufgaben. Als eigenen Akzent setzte sie in den zehn Monaten ihrer Amtszeit bislang lediglich eine Initiative gegen den Fachkräftemangel der Streitkräfte. Ansonsten war sie mit dem Management der internationalen Krisen in Afrika, Osteuropa und Nahost sowie der desaströsen Materiallage der Bundeswehr ausgelastet.

Gabriel dagegen schuf Fakten. Erst verkündete er eine restriktive Rüstungsexportstrategie. Nach teils heftiger Kritik daran aus CDU und Industrie verwies er anschließend auf die Untätigkeit der Verteidigungsministerin: Die solle doch bitte schön endlich einmal definieren, was die Bundeswehr an rüstungsindustriellen Kernfähigkeiten überhaupt benötige. Am Montag, als kurzen Anhang zu einer rund 1200 Seiten umfassenden Expertise des Wirtschaftsprüfungsunternehmens KPMG zur Lage des Beschaffungswesens im Wehrressort, lieferte von der Leyen ihre Sicht zu dem Thema. Danach zählt sie lediglich die Technik für vernetzte Operationsführung, Kryptografie, Aufklärungssensorik und Personenschutz zu unverzichtbaren Schlüsseltechnologien. Wie Deutschland künftig mit seinen weltweit führenden Unternehmen in der Panzer-, U-Boot- und Schusswaffentechnologie umgehen will, diese Frage reichte sie an Gabriel zurück.

Der freilich zeigte sich darauf gut vorbereitet und antwortete mit einer 40-minütigen Rede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Anders als von der Leyen beschränkte er sich dabei nicht auf den begrenzten Blickwinkel seines Ressorts, sondern wagte sich an eine umfassende Lagebeschreibung samt Handlungsempfehlungen. Platz für Spitzen gegen Rivalin von der Leyen fand sich in der Rede freilich auch. Die Debatte über die Rüstungsexportpolitik, sagte Gabriel, sei der „Kristallisationspunkt für eine Auseinandersetzung über unsere politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen in der Außenpolitik“. Sie sei die Voraussetzung dafür, größere Verantwortung in der Welt übernehmen zu können, „wie das ja seit einigen Monaten durch den Bundespräsidenten und den Bundesaußenminister immer wieder eingefordert wird“. Von der Leyens Definition der nationalen Schlüsselindustrien nannte er eine „sehr schmale Festlegung“.

Schwieriger war für Gabriel der Spagat zwischen den Erwartungen seiner Partei, an restriktiven Rüstungsexporten möglichst umfassend festzuhalten, und den wirtschafts- und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten seiner Arbeit als Kabinettsmitglied. Das SPD-Herz bediente er mit scharfer Kritik an der Vorgängerregierung, die Rüstungsexporte in heikle Weltregionen bewilligt habe. Mit ihm werde es keine Ausfuhren des Kampfpanzers Leopard2 „in den arabischen Raum oder andere Regionen der Welt“ geben.

Während Gabriel sich mit Grundsatzfragen beschäftigt, hetzt von der Leyen von einer Pannenbekämpfungsmission zur nächsten. Und während die CDU-Politikerin im Deutschlandtrend auf 36 Prozent Zufriedenheit und Platz acht im Ranking der Spitzenpolitiker abgestürzt ist, rangiert der SPD-Vorsitzende mit 45 Prozent Zufriedenheit auf Rang fünf. Im Duell der Reservekanzler hat Gabriel derzeit die Nase vorn.