Besonders Die Linke findet scharfe Worte für die Rede des Bundespräsidenten am Jahrestag des Weltkriegsausbruchs

Berlin. Aus seinen Vorbehalten gegen Wladimir Putin hat Bundespräsident Joachim Gauck nie einen Hehl gemacht. Doch mit seinem scharfen Angriff auf den russischen Präsidenten am Jahrestag des Weltkriegsausbruchs hat Gauck Anhänger und Kritiker überrascht. Linken-Chef Bernd Riexinger warf Gauck am Dienstag vor, mit seinem „präsidialen Fehlgriff ersten Ranges“ den Ukrainekonflikt zu verschärfen. Koalitionspolitiker stellten sich eher pflichtschuldig hinter den Präsidenten – die designierte EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini lobte ihn für seine klaren Worte: Gauck habe recht, von einer Partnerschaft mit Russland könne man derzeit nicht sprechen.

Auf der Westerplatte in Danzig hatte Gauck am Montag in einer Rede zum 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen beklagt, Russland gefährde den Frieden in Europa: Er warf Russland nicht nur vor, die Partnerschaft mit dem Westen de facto aufgekündigt zu haben – was endgültiger klingt als die Klage der Bundesregierung, die Partnerschaft liege derzeit auf Eis. Gauck drohte auch, der Westen werde sich dem russischen Völkerrechtsbruch in der Ukraine entgegenstellen: „Wir werden Politik, Wirtschaft und Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen“ – nur Stunden zuvor hatte Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag deutlich milder nur neue Wirtschaftssanktionen angekündigt.

Gauck konterkariere alle Bemühungen um eine Deeskalation, schimpfte am Tag danach Linke-Chef Riexinger. Der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter wies diese Kritik zwar zurück: Gauck sei eine „markante Stimme der Freiheit“ und fühle sich als Anwalt der Stimmungslage in den osteuropäischen Ländern. Doch der CDU-Politiker betonte auch: „Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen und versuchen, militärische Lösungen herbeizuführen.“ SPD-Vize Ralf Stegner nannte Riexingers Vorwürfe überzogen – hinter die Präsidentenworte stellte er sich nicht. Offiziell hielten sich Koalitionäre an die Devise, Präsidentenreden nicht zu kommentieren. Schließlich sei Gaucks Haltung zu Russland ja nicht neu, hieß es. Immer wieder hat Gauck, dessen Vater einige Jahre in sowjetischer Lagerhaft saß, Russland vor allem wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Er schlug eine Einladung zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi aus, die Pläne für einen Staatsbesuch in Moskau sind auf Eis gelegt. In diesem Jahr würdigt Gauck mit Reisen in die osteuropäischen Staaten die Freiheitsbewegungen, die 1989 zum Ende des Kalten Krieges führten – deshalb schmerzt ihn das neue Bedrohungsgefühl in Osteuropa besonders.

Dass ein Teil der Deutschen seine Position nicht teilt, weiß Gauck: Das verbreitete Verständnis für Putin wundere ihn, hat er kürzlich erklärt, offenbar fehlten Informationen über das wirkliche Leben in Russland. Und mancher fürchte wohl auch, in einen Konflikt hineingezogen zu werden, der eskalieren könnte, glaubt der Präsident. Dass sich die Bundesregierung im Ukrainekonflikt früh diplomatisch eingeschaltet hat, lobt Gauck aber ausdrücklich – auch Merkels Ansatz, den Gesprächsfaden zu Putin trotz aller Desillusionierung nicht abreißen zu lassen. Das ist wohl die außenpolitische Arbeitsteilung: Während der Präsident zu drastischen Worten greift, ist die Bundesregierung in der praktischen Politik bemüht, jede Chance zur Deeskalation zu nutzen und Brücken zu bauen. Unmittelbar vor dem Nato-Gipfel am Donnerstag und Freitag, der auch über die Strategie gegenüber Russland berät, warnten Koalitionspolitiker am Dienstag vor einem Konfrontationskurs der Nato: „Wir müssen alles dafür tun, weiter zu deeskalieren“, mahnte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann.

Weitere Gespräche seien besser, als die militärische Konfrontation zwischen Ost und West anzuheizen. Eine dauerhafte Stationierung von Nato-Truppen in Osteuropa will Berlin auf jeden Fall verhindern. Doch Moskau ist schon weiter: Der Vizechef des russischen Sicherheitsrats, Michail Popow, kündigte eine russische Antwort auf eine stärkere Nato-Präsenz in Osteuropa an. Die Ausweitung der Nato-Aktivitäten werde in der neuen Militärdoktrin als „äußere militärische Bedrohung“ eingestuft.

Unterdessen hat die Bundeswehr am Dienstag 20 verwundete Soldaten aus der Ukraine nach Deutschland ausgeflogen. Sie sollen in Bundeswehrkrankenhäusern in Hamburg, Koblenz, Berlin und Ulm behandelt werden. Am Abend landete eine Maschine in der Hansestadt, wo sechs Verwundete versorgt werden sollen.