Laut Thüringer Untersuchungsausschuss haben die Ermittler bei der Verfolgung der Terrorzelle „umfassend versagt“. Verdacht gezielter Sabotage

Erfurt. Die Thüringer Sicherheitsbehörden haben im Kampf gegen den rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) komplett versagt. Zu diesem Ergebnis kommt der Untersuchungsausschuss des Landtags in Erfurt in seinem Abschlussbericht. Die drei mutmaßlichen Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe werden unter anderem für den Mord an zehn Menschen verantwortlich gemacht. Böhnhardt und Mundlos starben im Jahr 2011 durch Selbsttötung, Zschäpe steht in München vor Gericht.

Angesichts des Ausmaßes von Desinformation sowie fehlender Kooperation zwischen Polizei, Verfassungsschutz und Justiz sei es „nicht mehr vertretbar“, lediglich von unglücklichen Umständen oder Pannen zu sprechen, sagte Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD). Die NSU-Mordserie hätte nach Einschätzung des Ausschusses verhindert werden können. Es habe Ende der 1990er-Jahre „Fehlleistungen in erschreckendem Ausmaß“ gegeben, sagte Marx. Sie sprach bei der Vorstellung des 1800 Seiten starken Abschlussberichts von einem Desaster und umfassendem Versagen. „Das ist die schwere Schuld, die auf Thüringen lastet.“

Im Namen des Landtags bat Parlamentspräsidentin Birgit Diezel bei den Angehörigen der zehn Mordopfer und den Verletzten der Kölner Sprengstoffanschläge um Entschuldigung. „Wir bitten Sie für die Verdächtigungen und für die lange Zeit fehlende Empathie um Verzeihung.“ Thüringen trage als Land, aus dem die mutmaßlichen Täter stammten, „eine besondere Verantwortung und eine besondere Schuld“.

Zuvor hatte auch Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) schwere Versäumnisse eingeräumt. Die NSU-Ermittlungen seien „ein beispielloser Fall von Behördenversagen in Bund und Ländern“. Zu den Versäumnissen gehörten das Verschwinden einer erst im Jahr 2011 wieder aufgetauchten Namensliste mit Kontakten in die rechte Szene, falsche Hinweise auf den vermeintlichen Aufenthaltsort von Böhnhardt und das Nichtbeachten zahlreicher anderer Hinweise. Angesichts dessen liege der „Verdacht gezielter Sabotage“ nahe.

Der knapp 1900 Seiten umfassende Bericht ist das Ergebnis von zweieinhalb Jahren Arbeit. Im Mittelpunkt stand das Handeln der Sicherheitsbehörden seit dem Fund von Sprengstoff in einer Jenaer Garage Anfang 1998. Dazu wurden in 68 Sitzungen über 11.600 Akten ausgewertet sowie 123 Zeugen und Sachverständige gehört. Die häufigste Antwort von Befragten sei der Satz gewesen: „Ich kann mich nicht erinnern“, sagte FDP-Obmann Heinz Untermann.

Dubios erscheint dem Ausschuss die Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz: So habe ein V-Mann des Bundesamtes „als Kontakt auf der Garagenliste des Uwe Mundlos“ gestanden. Die Liste mit Kontaktdaten mutmaßlicher Unterstützer war in der vom NSU-Trio genutzten Garage entdeckt worden. Was der Geheimdienst von diesem V-Mann erfahren habe, sei nicht aufzuklären gewesen. „Das Bundesamt verweigerte die erbetene Amtshilfe weitgehend“, heißt es dazu. Unverständlich sei, warum das Bundesamt behaupte, bis zum Auffliegen des Trios im November 2011 von nichts gewusst zu haben.

Beim Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz sieht der Untersuchungsausschuss eine weitere zentrale Ursache für das Behördenversagen. Zentrale Figuren der Neonazi-Szene seien als V-Leute mit „übermäßig hohen Prämien“ finanziert worden. Wichtige Informationen seien nicht an die Polizei weitergegeben worden, was der Geheimdienst mit dem Schutz seiner geheimen Zuträger begründet habe.

Die Polizei soll dem Urteil der Abgeordneten zufolge der Ermittlungsarbeit über weite Strecken nicht gewachsen gewesen sein und den Organisationsgrad der rechtsextremen Szene nicht durchschaut haben. Der damalige Innenminister Richard Dewes (SPD) wird mit der Aussage zitiert, 90 Prozent der Thüringer Polizisten seien DDR-Volkspolizisten gewesen. Sie hätten zunächst „in den Stand versetzt werden müssen, erkennen zu können, was rechtsradikal ist“.

Die zuständige Staatsanwaltschaft Gera wird als zu passiv kritisiert. Ihr früherer Chef Arndt Koeppen klagte zudem, die in seinem Auftrag tätigen Zielfahnder seien immer wieder „verraten worden“. „Wenn die sich irgendwo angepirscht und versucht haben, jemanden festzunehmen, sind die Zielpersonen vorher offenbar gewarnt worden.“

Das Landeskriminalamt sei zwar fachlich bestens qualifiziert gewesen, wurde aber laut Ausschuss von wichtigen Informationen abgekoppelt und möglicherweise vorsätzlich ausgebremst. Ein Zielfahnder sagte als Zeuge, er habe etwa die besagte Liste mit den Namen von Unterstützern nie zur Verfügung gehabt.