Warum Bayerns Verkehrsminister Ausnahmen in Grenzregion verlangt.

Berlin/München. Im Chaos um die geplante Pkw-Maut schien bis zum Wochenende immerhin eines klar zu sein: Die CSU und der von ihr regierte Freistaat Bayern unterstützen die Pläne von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) zur Einführung einer Vignetten-Pflicht für alle deutschen Straßen. Doch jetzt streitet auch die CSU über das Vorhaben – und das sehr heftig. Der Auslöser dafür war der bayerische Innen- und Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU). Er hatte in grenznahen Gebieten Bayerns großen Unmut registriert. Dort befürchten Unternehmer und Landräte, dass der kleine Grenzverkehr zu Österreich, der Schweiz und Tschechien leiden würde, wenn Autofahrer aus jenen Ländern in Deutschland für alle Straßen ein Vignette kaufen müssten und daher lieber zu Hause blieben – mit negativen Folgen für die deutsche Wirtschaft in den Grenzregionen.

Darum schlug Herrmann in der „Welt am Sonntag“ vor, dass „alle Landkreise entlang der Grenzen, in Bayern also nach Österreich, Tschechien und der Schweiz, von der Maut-Regelung ausgenommen werden“. Dann „bliebe der kleine Grenzverkehr unbeeinträchtigt“, und „die Maut wäre dann erst ab dem nächsten Landkreis fällig“. Mit dieser Forderung versetzte Herrmann den Maut-Plänen von Dobrindt einen schweren Schlag. Weil sie dann noch komplizierter und finanziell noch heikler würden. Das merkte natürlich CSU-Chef Horst Seehofer – und keilte zurück.

Es sei überhaupt nicht notwendig, dass jemand mit Interviews „seinen Senf dazugibt“, sagte Seehofer mit Blick auf Herrmann. Die Arbeit an einem Gesetzentwurf beginne „mit Grundprinzipien und nicht mit Ausnahmedefinitionen“, fügte Seehofer hinzu und bezeichnete „Zwischenrufe“ zumal aus der eigenen Partei als „nicht hilfreich“. Auch Dobrindt wehrte sich: Keineswegs werde die Maut den Grenzverkehr beeinträchtigen.

Doch Herrmann kuschte nicht, sondern rechtfertigte sich. Er habe, ließ er sein Ministerium mitteilen, einfach nur („nicht mehr und nicht weniger“) eine Prüfung von Maut-Ausnahmen vorgeschlagen. Das klang nicht, als nehme Herrmann den Vorschlag zurück. Zwar beeilte sich der Minister zu versichern, dass daraus keine Zweifel an Dobrindts Konzept abgeleitet werden könnten. Doch faktisch hat Herrmann sehr wohl für neue Zweifel gesorgt. Und zwar auf gleich zwei Gebieten, wodurch sich die Zahl der politischen Schlaglöcher, in denen die Pkw-Maut scheitern könnte, auf fünf erhöht.

Das Finanzloch an der Grenze: Wenn Dobrindt sich durchsetzen und Ausländer ausnahmslos überall bemautet würden, litten wohl tatsächlich die Grenzregionen. So geht eine neue Studie im Auftrag der FDP-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen davon aus, dass es in grenznahen Gebieten zu Umsatzeinbußen in Höhe von 15 bis 20 Prozent käme, wenn weniger Ausländer zum Einkaufen nach Deutschland kommen. Daher haben bereits mehrere Verkehrsminister Ausnahmen gefordert, und deshalb begrüßt auch der Vorsitzende der Länder-Verkehrsministerkonferenz, Reinhard Meyer (SPD) aus Schleswig-Holstein, Herrmanns Ausnahme-Idee.

Das Finanzloch im Haushalt: Zudem kommen die FDP-Studie und andere Untersuchungen zum Ergebnis, dass Dobrindts Einnahmeschätzungen zu hoch seien. Die FDP-Studie landet bei bloß 500 Millionen Brutto-Einnahmen durch Ausländer, was nach Abzug der Verwaltungskosten bloß 250 Millionen netto ergäbe. Noch niedriger ist das Ergebnis einer Berechnung des Verkehrswissenschaftlers Martin Randelhoff von der TU Dresden. Er kommt zu dem Schluss: Nur wenn die Ausländer überwiegend Jahresvignetten kaufen würden, obwohl sie die gar nicht immer benötigen, kämen knapp 600 Millionen Euro brutto zusammen – immer noch weniger, als in Dobrindts Prognose.

Das Loch in der Verwaltung: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat am Wochenende darauf hingewiesen, dass Dobrindts Konzept den deutschen Zoll vor gewaltige Probleme stellen würde. Der Zoll ist seit 1. Juli für die Erhebung der Kfz-Steuer zuständig, und die soll laut Dobrindt für Inländer gesenkt werden. Es sei fraglich, wie der Zoll in der Kürze der Zeit rund 50 Millionen Kraftfahrzeugsteuer-Bescheide neu erstellen könne, sagte Schäuble der „Rheinischen Post“. Mehr noch: Der Zoll müsste ja zugleich auch noch an die inländischen Kfz-Halter 50 Millionen Jahresvignetten verschicken, gestaffelt nach Hubraum, Schadstoffausstoß und Baujahr.

Das Loch in Brüssel: In dieser Woche fährt Dobrindt nach Brüssel, um mit EU-Kommissar Siim Kallas darüber zu sprechen, ob die Maut-Pläne gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen. Die Kommission hat in dieser Hinsicht große Befürchtungen. Ob die Brüsseler Kommissare gegen Dobrindts Pläne einschreiten würde, ist offen, aber der Europarechtler Walther Michl von der Universität München sieht gute Chance für Nachbarstaaten, die gegen eine deutsche Maut klagen würden. „So wie das Konzept vorgestellt wurde, stellt es einen Verstoß gegen gleich zwei Vorschriften der EU-Verträge dar“, sagt er.

Das Loch der Sprinter: Nach Dobrindts Konzept sollen sämtliche Pkw bis 3,5 Tonnen auf allen Straßen bemautet werden, Lkw ab 7,5 Tonnen aber nur auf Autobahnen und Bundesstraßen. Fahrzeuge der Sprinter-Klasse und Kleinlaster zwischen 3,5 und 7,49 Tonnen aber wären gar nicht mautpflichtg – weder auf Autobahnen noch auf Landstraßen.