Vorentscheidung im Brüsseler Posten-Poker. Der CDU-Politiker soll Deutschlands EU-Kommissar bleiben

Berlin/Brüssel. Es gehört zu den Eigenheiten der Europapolitik, dass der Posten-Poker um Spitzenjobs auf mehreren Ebenen gleichzeitig stattfindet. Da sind die innenpolitischen Befindlichkeiten in jedem einzelnen Mitgliedsland, dann gibt es die Konkurrenz unter den EU-Institutionen und schließlich die Machtverhältnisse zwischen den 28 Partnern.

Auf allen drei Ebenen wird – wenige Tage vor dem Gipfeltreffen der Regierungschefs Ende dieser Woche in Brüssel – heftig gerungen. In Berlin zumindest hat sich die Lage geklärt. Der deutsche Kommissar heißt auch künftig Günther Oettinger. Das CDU-Präsidium nominierte ihn am Montag auf Vorschlag von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel einstimmig.

„Herr Oettinger macht sehr gute Arbeit“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Oettinger sei mit seiner Kompetenz und Erfahrung „erste Wahl“ für die wichtige Aufgabe in der EU-Kommission, erklärte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Herbert Reul, zur Entscheidung des CDU-Präsidiums. Er erwarte, dass Oettinger in der kommenden Amtsperiode ein Kernressort besetzen werde, „in dem er die Wettbewerbsfähigkeit der EU entscheidend mitgestalten kann“.

Zufrieden mit dieser „Laufzeitverlängerung“ für den CDU-Mann Oettinger, so die Grünen-Europapolitikerin Rebecca Harms, sind natürlich nicht alle. Die SPD muss ihre hochfliegenden Pläne nach der Europawahl vom 25. Mai endgültig begraben und jetzt auch noch die ungeliebte Personalie Oettinger schlucken. Ihr europaweiter Spitzenkandidat Martin Schulz wird weder Kommissionspräsident – dafür hat das Wahlergebnis nicht gereicht – noch Vizepräsident und nicht einmal einfacher Kommissar. Vermutlich darf er für weitere zweieinhalb Jahre Parlamentspräsident bleiben.

Die Grünen im Europaparlament kritisierten ein mögliches Verbleiben Oettingers im Amt des Energiekommissars. Oettinger konterkariere in Brüssel mit aller Kraft eine erfolgreiche Energiewende in Deutschland, indem er sich „weiterhin stur für den alten Energie-Mix aus Kohle und Atom“ einsetze und im Schiefergas die wichtigste Technologie der Zukunft sehe, warf die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms dem CDU-Politiker vor. Die erneuerbaren Energien hingegen wolle Oettinger deckeln. „Die Energiewende muss das europäische Zukunftsprojekt werden. Mit diesem Mann ist das nicht zu machen.“

Wenig Sympathien hat sich Oettinger, 60, in seinem Heimatland auch mit seinem Werben für das „Fracking“ erworben, die Gasförderung mithilfe von Chemikalien aus tiefen Gesteinsschichten, um unabhängiger von Russland zu werden.

Ob der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger nun wie bisher das Energieressort in Brüssel leitet, ist ungewiss. Die Entscheidung darüber, das wird in Berlin gerne vergessen, trifft nämlich der Kommissionspräsident. Auch wenn dieser Jean-Claude Juncker heißen dürfte: Der Luxemburger ist bisher weder benannt noch gewählt.

Eine zweite Amtszeit für Oettinger – das war nicht unbedingt vorhersehbar. Am Anfang musste der Schwabe sich auf dem Brüsseler Parkett viel Häme gefallen lassen, etwa für sein holpriges Englisch: „In my homeland Baden-Württemberg we are all sitting in one boat.“ Wegen seiner medialen Dauer-Präsenz und forscher Forderungen wurde er bis in höhere SPD-Kreise als „Schwätzer“ tituliert. Zudem gilt er nicht als energischer Verfechter der deutschen Energiewende. Aber zuletzt ist Oettingers Ansehen auch beim Koalitionspartner SPD durch seine Verhandlungen im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine gestiegen, besonders Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) lobte ihn.

Aus Brüsseler Sicht ist die Personalie Oettinger nicht spielentscheidend. Zunächst muss am Freitag die Nominierung Junckers beschlossen werden – notfalls auch gegen den Widerstand der Briten (siehe links). Ob es zumindest zu Vorentscheidungen über den neuen Ratspräsidenten (oder die Ratspräsidentin) und über den neuen Außenbeauftragten (oder die Beauftragte) kommt, ist noch offen. Zumindest eine Frau soll dabei sein, genannt wird immer wieder die dänische Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt.

Was Oettinger am Ende in Brüssel macht, steht erst fest, wenn das Personalkarussell zum Stehen kommt. Er könnte ja auch Wettbewerbskommissar werden, heißt es in Berlin. Aber vielleicht wollen die Briten genau diesen Job und das Amt des Vizepräsidenten? Oder die Franzosen oder die Italiener, die lautstark mehr Wachstumsimpulse fordern und eine Gegenleistung für die Wahl Junckers? Das Pokerspiel in Brüssel ist noch lange nicht beendet.