Die Kommission stößt sich vor allem an den teuren Rentenplänen der Bundesregierung

Brüssel. Die Europäische Kommission reiht sich ein in den Chor der Kritiker und stößt sich an Deutschlands Rentenplänen, sowohl an der Mütterrente als auch an der Rente mit 63. In ihrem jährlichen Bericht über die Wirtschaftspolitik der EU-Mitgliedstaaten empfiehlt die Kommission, dass Deutschland „die Tragfähigkeit des öffentlichen Rentensystems sicherstellt“. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso stellte die Empfehlungen in Brüssel vor und mahnte – an ganz Europa gerichtet: Das Wachstum sei noch so fragil, dass „das Reformmomentum aufrechterhalten werden muss“. Keine Experimente, keine teuren Geschenke an die Wähler, lautet die Botschaft.

Die Experten der Kommission werden sehr konkret bei ihren Ratschlägen an die Bundesregierung: Das Ziel der Tragfähigkeit der Rentenkasse solle erreicht werden, indem „die Finanzierung neuer versicherungsfremder Leistungen (Mütterrente) durch Steuereinnahmen erfolgt, um u. a. einen weiteren Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge zu vermeiden“, heißt es da. Die deutschen Pläne aber belasten fast ausschließlich Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Ein Zweites raten die Experten in Sachen Rente: Dass nämlich „mehr Anreize für einen späteren Renteneintritt gesetzt werden“ – wenn Deutschland schon den europäischen Trend zu einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit bricht und eine Möglichkeit schafft, mit 45 Jahren nach dem ersten Rentenbeitrag in Ruhestand zu gehen. Die Empfehlungen werden der Bundesregierung ungelegen kommen, überraschend sind sie nicht. Der zuständige Kommissar Olli Rehn hatte mehrfach die Rentenpläne als gefährlich für die langfristige Tragfähigkeit der Rentenkasse kritisiert, vor allem aber als schlechtes Beispiel für andere EU-Länder. Dabei ist Deutschland längst nicht alleine in der Kritik: 19 von 28 EU-Mitgliedern empfahl die Kommission Maßnahmen für die Tragfähigkeit der Alterssicherungssysteme ihrer Bürger.

Die sogenannten „länderspezifischen Empfehlungen“ der Kommission gibt es nun zum vierten Mal, und ein jedes Mal noch fühlten sich Regierungen von ihnen ungerecht behandelt. Sie sind ein Instrument der wirtschaftspolitischen Steuerung, das ohne Sanktionen auskommt, das tatsächlich nur in Empfehlungen besteht, die allerdings „halbautomatisch“ von den EU-Finanzministern beschlossen werden. Das heißt: Sie gelten, wenn sich unter den Finanzministern nicht eine qualifizierte Mehrheit für ihre Ablehnung findet.

Diese gegenseitige Kontrolle ist das Druckmittel, das sich die EU-Staaten gegeben haben und das jede Regierung gerne nutzt, jedenfalls solange sie nicht selbst unwillkommene Ratschläge bekommt. Einen „Dialog“ zwischen Kommission und Mitgliedstaaten nannte Barroso das Vorgehen. „Die Kommission stellt konkrete Rezepte für den Weg aus der Krise vor“, sagte er. Die Empfehlungen könnten „ein Kompass sein, der die Richtung anzeigt“. Die grundlegende Frage sei: „Wie halten wir das Reformmomentum aufrecht, da der Druck zurückgeht?“, fragt er und gab die Antwort selbst: Politiker müssten „Führungsstärke zeigen und Reformen angehen, auch wenn sie unpopulär sind“.

Frankreich bekam in diesem Sinne eine Ermutigung von Rehn: „Es ist wichtig, dass Frankreich entschlossen reformiert. Das Vorhaben der Regierung, durch Ausgabensenkungen das Defizit zu begrenzen, ist ein guter Ansatz“, sagte Rehn in seinem ersten öffentlichen Auftritt als EU-Kommissar nach der Europawahl. Im neuen Parlament, das im Juli erstmals zusammentritt, wird der liberale Finne Abgeordneter sein. Italien hingegen musste Rehns Einlassungen eher als Ermahnung verstehen. „Das Reformmomentum in Italien sollte intensiviert werden, sodass Voraussetzungen für stärkeres Wachstum und für Erholung geschaffen werden können“, sagte er an die Adresse des italienischen Premierministers Matteo Renzi, der sich allerdings eher von einer lockeren Handhabung der Defizit- und Schuldengrenzen der Währungsunion Linderung für das mittlerweile chronische Wachstumsproblem seines Landes verspricht.

Angesichts des hohen Schuldenstandes brauche Italien eine Konsolidierung, die Wachstum nicht ausschließe, sagte Rehn, „mit einer Rationalisierung der Ausgaben und Maßnahmen auf der Einnahmenseite“ – eine Verwaltungsreform, die Italien schon mehrfach versucht hatte, erwähnten die Experten konkret. Das übergeordnete Ziel der diesjährigen Empfehlungen sei es, Wege gegen die immer noch dramatisch hohe Arbeitslosigkeit im EU-Durchschnitt zu erkunden.

14 Ländern also habe die Kommission empfohlen, Arbeitsmärkte oder Arbeitsrecht zu reformieren, sagte Barroso. Acht Länder müssten sich Gedanken über die Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe machen. In sechs Mitgliedstaaten liegen die Staatsschulden bei über 100 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung, darunter Belgien und Italien und die Krisenländer Portugal und Griechenland. Zwölf Länder sollten die Besteuerung des Faktors Arbeit verringern. „Das ist ein Gebiet, in dem mehr getan werden kann“, sagte Barroso. Steuerkommissar Algirdas Semeta ergänzte: „Wir rufen Mitgliedstaaten auf, das Steuersystem zu verbessern und es für die Ehrlichen einfacher zu machen und den weniger Ehrlichen die Hinterziehung zu erschweren.“ Um Zustimmung zu dem Empfehlungspaket von möglichst vielen zu bekommen, muss die EU-Kommission auf Ausgewogenheit achten.