Union und SPD bereiten den Weg für Rente mit 63 und höhere Mütterrente. Fraktionsspitzen gehen auf Gegner in den eigenen Reihen zu

Hamburg/Berlin. Am Ende geht alles ganz schnell, vielleicht zu schnell. Die Mikrofone streiken, als die Fraktionsspitzen von CDU, CSU und SPD das Ende des Koalitionsstreits um das Rentenpaket verkünden. Zweimal muss CDU-Fraktionschef Volker Kauder ansetzen, bis endlich die Technik funktioniert: „Die Koalition hat sich auf ein Rentenpaket geeinigt“, sagt er dann. Sehr zufrieden sei er, „dass wir uns in relativ kurzer Zeit in dieser Koalition bei dem großen Paket und den unterschiedlichen Diskussionspunkten“ haben einigen können. Ein „schönes Beispiel“ sei das doch, dass die Große Koalition ihre Aufgaben abarbeite und dem Land eine gute Regierungskoalition stellt. Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verströmt Zuversicht: So wie man sich nun bei diesem Großprojekt verständigt habe, würden in Zukunft auch die anderen Großvorhaben der Koalition erfolgreich bewältigt. „Dies war eine große Baustelle“, sagt Oppermann, „wir haben sie erfolgreich bearbeitet.“

Danach sah es lange nicht aus. Wie die Kesselflicker stritten SPD und CDU/CSU um die Details des Rentenpakets aus dem Haus von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Auch sie zeigte sich nun erleichtert über die Einigung: „Der Weg für das Rentenpaket ist frei“, verkündete sie eine Stunde nach den Fraktionschefs in ihrem Ministerium. Das Paket kann nun am Freitag vom Bundestag beschlossen werden. Es enthält die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren und die Zahlung einer besseren Mütterrente für vor 1992 geborene Kinder. Außerdem sollen die Erwerbsminderungsrente aufgestockt und das Reha-Budget angehoben werden.

Besonders umstritten war dabei die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass auch Zeiten der Arbeitslosigkeit unbegrenzt anerkannt werden. Der Wirtschaftsflügel der Union sah darin ein Einfallstor zur Frühverrentung. Arbeitnehmer könnten sich mit 61 Jahre in den Vorruhestand verabschieden – und nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit in die Rente mit 63 wechseln. „Der Staat zahlt für diese Übergangszeit“, heißt es von den Kritikern. Mehr als 60 Abgeordnete der Union könnten am Freitag gegen diese Gesetzespläne stimmen, hieß es noch am Wochenende – und die Union gibt nicht gerade ein Bild der Einigkeit und Geschlossenheit ab. Nach Informationen des Abendblatts könnten sogar 100 Unionspolitiker gegen das Paket stimmen. Gefährdet ist eine Regierungsmehrheit im Bundestag aber selbst dadurch nicht. Heute soll es eine Probeabstimmung in der Fraktionssitzung der Union geben.

Nun bleibt es dabei: Zeiten der Arbeitslosigkeit werden wie im Gesetzentwurf vorgesehen, ohne zeitliche Beschränkung angerechnet. „Damit bleibt es auch zukünftig möglich, trotz kurzzeitiger Unterbrechungen des Arbeitslebens durch Arbeitslosigkeit die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte in Anspruch zu nehmen“, heißt es in einem internen Papier der Union, das dem Abendblatt vorliegt. Dafür einigten sich die Koalitionäre auf den flexiblen Stichtag: Um Missbräuche zu verhindern, werden die Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs in den letzten zwei Jahren vor der Rente mit 63 nicht mitgezählt.

Das Rentenpaket kostet bis 2030 etwa 160 Milliarden Euro

Eine Ausnahme ist für Arbeitslose vorgesehen, die durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers ihren Job verlieren. Der Vorschlag der Gewerkschaften, Arbeitgeber bei Entlassungen von Älteren zu verpflichten, das Arbeitslosengeld einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten, findet sich in dem Koalitionskompromiss nicht wieder. Die Gewerkschaften forderten in einer ersten Reaktion prompt, die Erstattungspflicht wieder einzuführen. Zeiten der Arbeitslosigkeit gehörten generell berücksichtigt, wenn Beschäftigte gekündigt würden – nicht nur bei Insolvenzen.

Den Kritikern des Wirtschaftsflügels kam man einen weiteren großen Schritt entgegen: Die Fraktionsspitzen einigten sich auf die Einsetzung einer Arbeitsgruppe, die bis zum Herbst erste Vorschläge zu flexiblen Übergängen in den Ruhestand erarbeiten soll. Die Arbeitsgruppe prüft, wie bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von künftig 67 Jahren und darüber hinaus flexibel weitergearbeitet werden kann. Schon heute gibt es die Möglichkeit von Teilrenten vor der Altersgrenze – allerdings mit starren Hinzuverdienstgrenzen. Das soll künftig einfacher und flexibler möglich sein. MIT-Chef Linnemann zeigte sich erfreut, dass die Große Koalition „unseren Vorschlag der Flexi-Rente in das Rentenpaket aufgenommen hat“. Davon profitierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer: Die einen könnte ihre Fachkräfte länger im Betrieb halten, die anderen können etwas dazu verdienen.

Das Rentenpaket kostet bis 2030 etwa 160 Milliarden Euro. Der Löwenanteil wird von den Beitragszahlern, also Arbeitnehmern und Arbeitgebern, und den Rentnern getragen. Die Rücklagen der Rentenversicherung von derzeit über 30 Milliarden Euro werden bis 2018 nahezu aufgezehrt. Ab 2019 soll eine Anhebung des Beitragssatzes deutlich mehr Geld in die Kassen spülen. Auch nach 2020 tragen laut Rentenversicherung die Beitragszahler und Rentner etwa drei Viertel der Kosten: Der höhere Beitragssatz und höhere Rentenausgaben dämpfen die jährliche Rentenerhöhung und verringern das Rentenniveau.