Vor dem Innenausschuss des Bundestags spricht BKA-Chef Jörg Ziercke über das Telefonat mit Thomas Oppermann über den Fall Edathy. Es bleiben Fragen

Berlin. Der Auftritt des Oberkriminalers muss überzeugend gewesen sein – bis auf einen einzigen Punkt. Wie es nämlich der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, geschafft haben will, in einem viereinhalbminütigen Telefonat überhaupt nichts zu sagen. Das erschloss sich den Parlamentariern jedenfalls nicht. So aber soll es gewesen sein, sagte Ziercke vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestags am Mittwochvormittag. Er habe Mitte Oktober vorigen Jahres mit dem jetzigen SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann telefoniert, ja, aber nichts gesagt, außer seinem Namen.

Oppermann hingegen hatte noch vor einer Woche behauptet, Ziercke habe ihm in dem Telefonat sehr wohl bestätigt, dass der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy auf einer Verdächtigenliste in Sachen Kinderpornografie stehe. Vor einigen Tagen ruderte Oppermann jedoch zurück und erinnerte sich auch nur noch an einen schweigsamen Gesprächspartner Ziercke.

„Ich kann in diesem Gespräch keine strafrechtliche Relevanz erkennen: Ich habe nichts offenbart, und Herr Oppermann hat nicht versucht, mich aktiv dazu zu verleiten”, sagte Ziercke nach der Befragung. Der damalige Fraktionsgeschäftsführer Oppermann habe ihn am 17. Oktober gegen 15.30 Uhr angerufen. „Ich war wirklich überrascht.“ Ziercke wies den Eindruck zurück, dass es sich um ein typisches Gespräch zwischen Parteifreunden gehandelt habe. „Das ist definitiv nicht der Fall.“ Das Telefonat habe schnell eine Phase erreicht, „wo Oppermann gemerkt hat, dass ich spürbar angespannt war“, sagte der BKA-Chef. Es seien dabei „die Grenzen höflicher Kommunikation nahegerückt“. Er habe vor vier oder fünf Jahren zuvor den letzten Kontakt mit Oppermann gehabt, sagte das SPD-Mitglied Ziercke. Und seitdem übrigens auch keinen Kontakt mehr mit Oppermann gepflegt, fügte der BKA-Chef hinzu. Der überzeugende Teil von Zierckes Auftritt bezog sich auf den Fall Edathy im engeren Sinne – der BKA-Chef wurde ausführlich. Das BKA habe im Oktober 2011 aus Kanada insgesamt 450 Gigabyte Beweismaterial zu etwa 800 deutschen Kunden erhalten. „Rund 500 Kunden hatten eindeutig kinder- und jugendpornografische Filme und Fotos bestellt und mit Kreditkarte bezahlt“, sagte Ziercke. Etwa 300 Kunden hätten Filme und Foto-Sets bezogen, die aber in Deutschland nicht strafbar seien.

Im Jahr 2012 seien zunächst 443 Fälle mit eindeutig kinderpornografischen Filmen abgearbeitet worden. Am 15. Oktober 2013 sei dann eine Liste mit 80 Personen geringerer Priorität an die 16 Landeskriminalämter verschickt worden. Auf dieser Liste stand auch der Name Edathy: „Dass es sich um den ehemaligen Abgeordneten handelte, war bis dahin nicht bekannt. Jeder wurde auf dieser Liste gleich behandelt“, sagte Ziercke. Das Landeskriminalamt Niedersachsen habe eine Anfrage zur Bestelladresse des Materials aus Kanada an die zuständige Polizei Nienburg/Schaumburg weitergeleitet.

Schließlich habe das Bundeskriminalamt am 15. Oktober 2013 erst durch den Rückruf eines Beamten aus Nienburg erfahren, dass es sich bei dem Verdächtigen um den SPD-Politiker Edathy handle. Er selbst sei am Nachmittag des 15. Oktober im BKA unterrichtet worden und habe am 16. Oktober dann den damaligen Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Klaus-Dieter Fritsche, informiert. Dazu sei er verpflichtet gewesen, betonte Ziercke.

Staatssekretär Fritsche hatte daraufhin seinen Chef, den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), unterrichtet. Und Friedrich wandte sich mit der Information von den Verdächtigungen gegen Edathy damals umgehend an den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Diese Vertraulichkeit wurde Friedrich vorige Woche zum Verhängnis: Nachdem Oppermann die Informationsweitergabe öffentlich gemacht hatte, wurde der inzwischen ins Agrarministerium gewechselte Friedrich von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer zum Rücktritt gedrängt.

Die Grünen fordern, Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) ebenfalls noch vor den Innenausschuss zu laden. Der Brief der Staatsanwaltschaft mit dem Antrag auf Aufhebung der Immunität des verdächtigen Abgeordneten Edathy hatte sechs Tage von Hannover nach Berlin benötigt, bis er geöffnet bei Lammert eintraf. Einen Tag nachdem das Schreiben aber in Hannover auf den Weg gebracht worden war, hatte Edathy sein Bundestagsmandat abgegeben.

Oppermann rutschte während der anschließenden rund einstündigen Debatte im Bundestag unruhig auf seinem Abgeordnetenstuhl hin und her, während sich seine SPD-Fraktionskollegen abmühten, weitere Vorwürfe von ihm fernzuhalten. „Herr Oppermann ist hier, redet aber nicht“, stellte Linken-Fraktionsvize Dietmar Bartsch fest. „Die Sache wird heruntergekocht.“

Nach der Debatte ging es wieder zurück in den Innenausschuss. Dort hat Oppermann missverständliche Angaben eingestanden. „Ich räume ein, dass die Formulierung in meiner Presseerklärung „habe ich (...) mir bestätigen lassen“ missverstanden werden kann, weil es eine aktive Bestätigung durch Herrn Ziercke nicht gab“, sagte Oppermann laut Redemanuskript. Er habe sinngemäß gesagt, dass die SPD-Spitze durch Angaben von Friedrich erfahren habe, „dass der Name Sebastian Edathy im Zusammenhang mit Bildern von nackten Kindern und Jugendlichen bei Ermittlungen im Ausland aufgetaucht ist“. Dabei gehe es nicht um strafbare Inhalte, strafrechtliche Ermittlungen könnten aber dennoch nicht ausgeschlossen werden. „Herr Ziercke hat mir in dem Gespräch erklärt, er wolle die Informationen von Minister Friedrich nicht kommentieren. Das habe ich respektiert und das Gespräch kurz danach beendet.“ Er habe den Ausführungen aber auch nicht widersprochen.

„Der Vorwurf, ich hätte mich, als ich Herrn Ziercke anrief, wegen Anstiftung zur Verletzung eines Dienstgeheimnisses (...) strafbar gemacht, entbehrt jeder Tatsachengrundlage und ist rechtlich abwegig“, heißt es in dem Manuskript.